High - Genial unterwegs an Berg und Fels
wieder.
»Keine Ahnung«, antwortete ich.
Das Licht kam näher. Schon konnten wir die Lichtquelle vom Lichtkegel unterscheiden, es war also ein Mensch mit einer Stirnlampe, und ein Mensch, der um diese Zeit mit einer Stirnlampe durch den stockdunklen Wald wanderte, musste jemand sein, den wir kannten …
»Reini?«
»Ah, da seid ihr.«
»Was machst du hier?«
»Weiß nicht. Hatte gerade nichts zu tun und dachte, ich mach noch einen kleinen Spaziergang …«
Aber natürlich hatte er sich Sorgen um uns gemacht.
Drei Wochen nach Puurs stand in Dresden der nächste Weltcup auf dem Programm. Als ich in die Qualifikation ging, merkte ich, dass die ungewissen Erwartungen verschwunden waren, die in Puurs noch einen unsichtbaren, aber recht spürbaren Rucksack dargestellt hatten, der die Wand hinaufgeschleppt werden musste. Dafür hatte ich jetzt einen anderen Rucksack.
Ins Finale zu kommen.
Oder sogar zu gewinnen.
Aber diesen Rucksack kannte ich, den hatte ich schon in so vielen Jugendwettbewerben getragen. Er passte mir besser, und ich kletterte so konzentriert und entspannt, wie ich nur konnte. Am Ende hatte ich meinen ersten Weltcup gewonnen und konnte mich nicht nur über die eigene Leistung freuen, sondern auch darüber, dass mein Freund Jorg neben mir stand: Er war Dritter geworden, hinter Sylvain Millet.
Neun
Einen Monat später trat ich in Hall in Tirol zum nächsten Weltcup an. Unterschied zu den beiden bisherigen: diesmal war es ein Boulder-Weltcup.
Ich wusste, dass es eine unübliche Entscheidung war, vom Lead zum Bouldern zu wechseln, vom konditionsraubenden Powerklettern zur eher kreativen Spielform des Kletterns. Aber es passte mir gerade in den Kram, und ich hatte Lust, vor heimischem Publikum zu zeigen, was ich draufhatte.
Um im Lead erfolgreich zu sein, brauchst du körperliche Fitness und mentale Stärke. Du musst dich im Training richtig quälen und kannst einen Trainingsrückstand nicht einfach überspielen. Auch Bouldern ist ein ernsthafter Wettkampf, aber hier kannst du mit einem genialen Einfall deine Schwächen wettmachen. Bouldern ist im Training lockerer als Lead, und ich finde, dass noch mehr von dem Lifestyle, den ich am Klettern so sehr schätze, dabei rüberkommt. Trotzdem fordert mich der Lead-Wettkampf mehr heraus.
Wenn schon, denn schon.
Beim Lead-Klettern geht es vor allem um die Kraftausdauer. Reini erfand fürs Training den Begriff des A2, das war die Abkürzung dafür, dass eine Tour zweimal hintereinander geklettert werden muss. Du kletterst rauf, wirst abgelassen, bindest dich gleich wieder ein und gehst die Tour sofort von Neuem.
Bringt etwas, ist aber ziemlich fad.
Und was fad ist, ist zäh.
Bouldern ist eine tolle Spielerei. Man geht in die Halle und probiert ein paar neue Sachen aus, das dauert nicht so wahnsinnig lang und macht eigentlich immer Spaß. Aber auch Bouldern verlangt eine gewisse Konsequenz und Disziplin im Training.
In der Qualifikation müssen fünf Boulderprobleme gelöst werden, für die du jeweils fünf Minuten Zeit hast. Im Halbfinale sind es vier Boulder, die in jeweils sechs Minuten erledigt werden müssen. Im Finale hast du vier Minuten Zeit für jeden der vier Boulder. Die Probleme sind sehr abwechslungsreich geschraubt, so dass Spezialisten kaum eine Chance haben: Man muss alles beherrschen. Eines aber ist klar: Beim Bouldern kommen die talentierteren Kletterer zum Zug, nicht die, die am fleißigsten trainieren.
Der Wettkampf fand in einem ehemaligen Salzlager statt, in einer hohen, langgezogenen Halle, deren Dach von riesigen Säulen getragen wurde. Auf der rechten Seite waren Stände aufgebaut, an denen man Essen und Getränke kaufen konnte, auf der linken Seite standen die Boulderwände. Überall Zuschauer, vor den Säulen, hinter den Säulen. Es war der erste Weltcup, der in Hall ausgetragen wurde, Premiere also für uns alle.
Favorit für den Wettkampf war ein Freund von mir, Kilian Fischhuber, der so wie ich von Red Bull gesponsert wurde. Kilian, ein Niederösterreicher aus Waidhofen an der Ybbs, war regierender Weltcupgesamtsieger, ein Boulderer, der super Einfälle hat und sehr beständig ist. Gemütlicher Kerl. Er kann nicht nur klettern, sondern auch feiern.
Die anderen Kollegen am Start kannte ich kaum. Da hatten wir etwas gemeinsam: denn mich kannte einmal mehr auch keiner. Ich war schon im Lead, meiner Spezialdisziplin, ein unbeschriebenes Blatt gewesen. Aber was ich beim Bouldern zusammenbringen würde? Ich wusste es
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