High Heels im Hühnerstall
sie ihr ganzes Leben lang wie ihre Westentasche gekannt hatte, die sie auf acht Zentimeter hohen Absätzen entlanggestöckelt war, abgeschottet vom Leben durch die Schichten von Schmutz und Abgasen und Gleichgültigkeit, die das jahrelange Dasein in London angesammelt und sie von allem abgeschirmt hatte, was sie aus ihrer täglichen Routine reißen konnte. Stets wie aus dem Ei gepellt, stets bereit für die Last-Minute-Konferenzschaltung mit dem Büro in New York, stets bereit, Fehler zu suchen, zu beheben und Erfolg zu haben, war Sophie einst die einzige Frau innerhalb des Londoner Autobahnrings gewesen, die wusste, wo man nach siebzehn Uhr in weniger als einer halben Stunde hundert Lichterketten auftreiben konnte. Sie mochte hier nicht glücklich gewesen sein, wenn Glück bedeutete, zu fühlen und zu lieben und zum Sternenhimmel hinaufzublicken, aber zumindest hatte sie gewusst, wo sie stand, und sie war Herrin über ihr eigenes Schicksal gewesen.
Sophie klopfte mit ihrem kurzen, unlackierten Fingernagel gegen die Scheibe. Es war erst zehn Uhr an einem Samstagabend in London, in ihrem Koffer lag ihr bestes Paar Vintage-Manolos aus den 1980ern, und sie vergrub sich hier in ihrem Kinderzimmer wie ein Flüchtling oder ein entlaufener Strafgefangener. Was in aller Welt dachte sie sich eigentlich dabei? Sie war hierher zurückgekommen, um Bilanz zu ziehen, wieder sie selbst zu sein, und es war nicht gut, sich hier in ihrem alten Zimmer in die Vergangenheit zu vergraben. Das Beste war, hinauszugehen und sich in das pulsierende Leben der City zu stürzen.
Schnell griff Sophie nach ihrem Handy und tippte eine Nummer ein.
»Christina? Hallo, hör zu, ich bin überraschend in der Stadt. Was machst du gerade?«
Christina befand sich gerade auf einer privaten Party in der Light Bar des St Martins Lane Hotels, und sobald Sophie ihr eine kurze Zusammenfassung ihrer Situation gegeben hatte, ließ sie ein paar Beziehungen spielen und Sophies Namen auf die Gästeliste setzen. Sophie brauchte eine knappe halbe Stunde, um zu duschen, eines der Kleider anzuziehen, die sie seit ihrer Ankunft in St Ives kaum getragen hatte, in ihre schicken und tröstlich unbequemen Designerschuhe zu schlüpfen, sich die langen Haare aufzuschütteln und ein wenig Lipgloss aufzutragen.
Als sie die Tür des Hauses ihrer Mutter öffnete, stand sie da und atmete London ein. Vorbei war es mit dem ständigen Geschrei der Möwen und dem unaufhörlichen, beruhigenden Rauschen der Meereswellen. Hier gab es kein magisches Licht, das angeblich den menschlichen Geist anregte. Man sah kein Fleckchen Grün, und wenn man zu tief einatmete, drohte man an den Autoabgasen fast zu ersticken. Sophie schmunzelte in sich hinein; sie war sehr froh, wieder hier zu sein.
»Und, was ist der Anlass?«, fragte Sophie, als sie sich zusammen mit Christina und einem köstlich aussehenden Mojito in einer Nische niedergelassen hatte.
»Das ist die Scheidungsparty meiner Freundin Alison – erinnerst du dich an sie? Du hast sie vor einer Weile kennengelernt, sie war von deiner mutigen und impulsiven Entscheidung, nach Cornwall zu fahren, um einem Mann nachzureisen, schwer beeindruckt. Jedenfalls ist ihre Scheidung durch, und sie hat einen Catering-Betrieb gegründet, der wirklich gut zu laufen scheint, deshalb feiert sie. Das ist sie, da drüben.«
Sophie sah zu einer blonden fürchterlich aufgedonnerten Frau etwa ihres Alters hinüber, die lachte und sich mit einer großen Rothaarigen unterhielt. »Sie scheint über die Scheidung sehr glücklich zu sein«, stellte Sophie fest. »Es ist, wenn man im Begriff ist zu heiraten, ein bisschen irritierend, jemanden zu sehen, der so glücklich aussieht, eine Ehe hinter sich zu haben …«
»Ja, aber du heiratest den Mann deiner Träume, deinen Märchenprinzen. Sie hat einen unverbesserlichen Scheißkerl, an dem wirklich nichts Gutes ist, geheiratet. Sie hat mir erzählt, dass sie sich fühlt, als würde ihr Leben erst jetzt beginnen, was angesichts der Tatsache, dass sie sich um drei Kinder kümmern muss, ziemlich beeindruckend ist.«
»Ich habe auch drei Kinder, um die ich mich zu kümmern habe«, murmelte Sophie mehr zu sich selbst als zu Christina. »Und keines davon ist mein eigenes.«
»Außerdem hat Alison großes Glück, weil sie das Haus zugesprochen bekommen hat. Sie hat es verkauft und den Betrieb – Home Hearths Catering beziehungsweise irgendeine Schickimicki-Bio-Geschichte mit Öko-Grünzeug – gegründet, aus dem die
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