High Heels im Hühnerstall
untergegangen. Ich habe mich draußen im Schulhof übergeben und bin auf einer Parkbank eingeschlafen. Als ich aufwachte, war die Party längst vorbei, ich hatte einen Geschmack im Mund als wäre er eine Kloake, mein Kopf brummte wie verrückt, und ich hatte keine zwei Worte zu dem Mädchen gesagt, das ich liebte.« Sophie beobachtete, dass Louis den Blick von ihrem Gesicht abwandte und die Aufmerksamkeit stattdessen auf seine Vergangenheit richtete. »Mein Gott, ich war am Boden zerstört. Ich hatte meinen Augenblick verpasst, ich hatte es vermasselt. Mir wurde klar, dass ich den Rest meines Lebens ohne sie verbringen musste, und bei diesem Gedanken kamen mir einfach die Tränen. Ich saß auf der Bank und heulte wie ein Schlosshund. Schließlich beschloss ich, nach Hause zu gehen, und machte vermutlich aus Gewohnheit den Umweg an ihrem Haus vorbei, wahrscheinlich, um einen letzten Blick auf ihr Fenster zu werfen. Als ich in ihre Straße einbog, saß sie da auf einer Mauer vor ihrem Haus und rauchte eine Zigarette.
›Du hast dir aber Zeit gelassen‹, sagte sie, als ich auf sie zuging und dabei inständig hoffte, mich nicht wieder übergeben zu müssen. ›Ich habe die ganze Nacht hier gewartet. Ich wollte gerade reingehen, bevor meine Eltern merken, dass das nur Kissen unter meiner Bettdecke sind, nicht ich.‹«
Louis schmunzelte. »Ich war ganz durcheinander und mir nicht sicher, ob ich noch auf der Bank lag und träumte. Deshalb fragte ich sie: ›Woher hast du gewusst, dass ich komme?‹ Sie war die Ruhe selbst und sagte: ›Du gehst auf dem Heimweg immer an meinem Haus vorbei; ich dachte mir, das wird heute Nacht nicht anders sein. Du hast aber nicht ein einziges Mal geklingelt, deshalb dachte ich, ich bleibe lieber hier draußen sitzen und warte auf dich, sonst schaffst du es nie, mich zu einem Date einzuladen.‹
›Du hättest mich ja einladen können‹, antwortete ich, weil ich noch ein Kind und ein ziemlicher Idiot war.
Sie sprang von der Mauer, schlang die Arme um meinen Hals und sagte: ›Ich bin das Mädchen, Mädchen machen nie den ersten Schritt.‹ Und dann küsste sie mich – dieser lange Kuss, der nach Rauch und Apfelwein schmeckte –, und wir blieben eng umschlungen an der Hauswand stehen und knutschten herum, bis die Sonne aufging.«
Sophie wappnete sich gegen die Enttäuschung, die bei der Vorstellung, dass Louis eine andere als sie stundenlang geküsst hatte, in ihr aufstieg, aber es war hoffnungslos, die Eifersucht flammte in ihr auf wie Feuer an einem Stück Anzündholz. Sie wusste natürlich, dass er eine Vergangenheit hatte, aber die Vorstellung, dass er je eine andere so geliebt hatte, wie er sie liebte, und sei es vor Jahrzehnten eine Fünfzehnjährige gewesen, schmerzte sie fast mehr, als sie verkraften konnte.
»Den ganzen Sommer waren wir unzertrennlich«, fuhr Louis fort. »Wir haben jeden Tag miteinander verbracht, nur wir beide. Ich traf meine Kumpel wochenlang nicht. Es war eine fantastische Zeit. Es war … Es war …«
»Ein wunderbarer Traum, aus dem du gar nicht wieder aufwachen wolltest?«, fragte Sophie.
Louis nickte. »Ja, aber das musste ich. Sie verschwand, beziehungsweise ihre Familie verschwand quasi über Nacht. Ich konnte es nicht fassen. Ich wusste nichts davon.«
»Obwohl du sie jeden Tag gesehen hast.«
»Gegen Ende der Ferien wollte sie mich nicht mehr so häufig treffen, vermutlich hatte sie das Interesse an mir verloren. Wenn ich sie anrief, war sie nie zu Hause. Und ich sah sie nie mehr in der Stadt, und keine ihrer Freundinnen schien zu wissen, was mit ihr los war. Dann ging ich eines Morgens in der Hoffnung, dass sie herauskommen würde, an ihrem Haus vorbei, und es war ein Schild davor aufgestellt, dass es zum Verkauf stand. Das Haus war bereits leer. Sie waren fort. Ich klopfte bei der Nachbarin, und sie sagte mir, dass Wendys Vater einen neuen Job im Norden angetreten habe. Er hatte den Umzug an einem Wochenende einfach so über die Bühne gebracht. Ich habe nie mehr etwas von ihr gehört.«
»Nie mehr?«, fragte Sophie.
»Nein.« Louis schüttelte den Kopf. »Ich war untröstlich, am Boden zerstört. Vermutlich habe ich eine Ewigkeit gebraucht, bis ich darüber hinweggekommen bin, weil ich wirklich dachte, wir wären Seelenverwandte …«
»Seelenverwandte?«, wiederholte Sophie. Sie hatte gehofft, Louis sei ihr Seelenverwandter, aber wenn er in seinem Leben bereits eine solche getroffen hatte, war sie sich nicht mehr sicher. Sie wusste
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