High Heels im Hühnerstall
umzuschauen. Ich habe meinen Sohn weniger als zehn Minuten gesehen, und wir haben keine zwei Worte miteinander gewechselt.«
»Das scheint mir eine ziemlich brutale Art zu sein, ihm die Nachricht beizubringen; es muss für ihn ein Schock gewesen sein – wie der von Bella, als sie mich heute Morgen hier entdeckt hat. Ich glaube nicht, dass ich viel anders reagiert hätte. Genau genommen habe ich bei der Nachricht, dass meine Mutter einen Liebhaber hat, der bei ihr wohnt, beinahe einen Herzinfarkt bekommen.«
»Wendy meinte, so wäre es am besten«, erklärte Louis achselzuckend. »Sie sagte, er schätze es, wenn sie ehrlich und offen zu ihm ist, und schließlich kennt sie ihn, im Gegensatz zu mir.«
»Und was ist passiert, nachdem er gegangen war?«
»Na ja, Wendy hatte gekocht, deshalb bin ich zum Essen geblieben, und wir haben uns unterhalten. Über die Vergangenheit geredet, über Seth geredet – und versucht herauszufinden, was wir tun sollen.«
Sophie versuchte, sich nicht vorzustellen, wie Louis und Wendy sich am Tisch gegenübersaßen, auf dem natürlich eine Kerze stand, während sie von jenem herrlichen Sommer der Liebe sprachen, den sie zusammen verbracht hatten. Hier ging es nicht um Louis und Wendy, hier ging es um Seth, und das musste sie sich merken, weil sie sich sonst selbst in den Wahnsinn treiben würde.
»Und, was hast du vor?«, fragte sie.
»Wendy meint, ich sollte zu seinem College in Falmouth fahren und noch einmal versuchen, mit ihm zu reden, aber ich frage mich, ob er nicht ein bisschen Abstand braucht. Er hat ja recht. Er ist zwanzig Jahre ohne Vater ausgekommen, und jetzt tauche ich auf, und was habe ich ihm anzubieten? Es ist ja nicht so, als ob er noch jemanden bräuchte, der ihm das Fahrradfahren ohne Stützräder beibringt oder mit ihm im Park Fußball spielt.« Sophie verspürte plötzlich einen stechenden Schmerz, als sie daran dachte, was Seth ihr in der vergangenen Nacht vor dem Zwischenfall mit dem Kuss erzählt hatte. Wie sehr er sich nach einem Vater gesehnt hatte.
»Vielleicht sollte ich ihn einfach wissen lassen, dass ich mich gerne noch einmal mit ihm treffen würde«, fuhr Louis fort. »Ihm sagen, wie er Kontakt zu mir aufnehmen kann, und ihm dann Zeit geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen – was meinst du?«
»Ich glaube, das wäre wirklich das Beste«, antwortete Sophie, die an Seths Miene in der vergangenen Nacht dachte. »Er wird es zu schätzen wissen, dass du da bist, um mit ihm zu reden, wenn er dazu bereit ist.« Louis wirkte unentschlossen.
»Aber Wendy ist seine Mutter; sie sollte es am besten wissen. Wenn sie meint, ich sollte wirklich versuchen, jetzt eine Beziehung zu ihm aufzubauen, dann sollte ich das vielleicht machen … Ich möchte nicht, dass er denkt, ich interessiere mich nicht für ihn, obwohl … Tatsache ist ja, dass ich ihn nicht lange genug gesehen habe, um überhaupt zu wissen, ob ich mich für ihn interessiere. Und wenn er wütend und verärgert ist – wessen Schuld ist das? Meine. Ich habe das Leben eines Jungen verkorkst, ohne es zu wissen, und jetzt, genau in diesem Augenblick finde ich es wirklich schwierig, überhaupt etwas zu fühlen.«
»Du solltest tun, was du willst«, erklärte Sophie. »Vielleicht hat Wendy andere Gründe, wieso sie möchte, dass du so viel bei ihr bist; vielleicht geht es ihr nicht nur um Seth …« Sie sprudelte einfach los, ohne nachzudenken, was sie sagte.
»Worum dann zum Beispiel?«, fragte Louis gereizt und drehte sich zu ihr um.
»Dass sie dich zum Beispiel wieder gern in ihrem Leben hätte, dass sie nach Vorwänden sucht, dich weiter zu treffen.« Sophie war sich schmerzlich bewusst, wie irrational und lächerlich sie klang.
»Sei nicht albern!«, erwiderte Louis und sprang plötzlich aus dem Bett, um seine Kleider vom Boden aufzusammeln. »Ich verstehe gar nicht, warum du mit Wendy ein solches Problem hast. Ich dachte, du würdest sie vielmehr bewundern. Sie ist alleinerziehende Mutter, die ihren Sohn, meinen Sohn, zwanzig Jahre allein großgezogen hat und einfach möchte, dass er die Chance bekommt, seinen Vater kennenzulernen. Was für ein Problem hast du damit, Soph?«
Sophie wand sich verlegen auf dem Bett, weil sie sich, nackt wie sie war, auf einmal verletzlich fühlte und gekränkt war, dass Louis seine Ex so problemlos vor der Frau verteidigte, die er zu heiraten gedachte. Sie wusste, was sie sagen sollte; sie sollte sagen, dass sie kein Problem mit Wendy habe, dass sie einfach nur
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