High Heels im Hühnerstall
wissen, wo er steckt. Ich dachte, er ist vielleicht nach Falmouth zurückgefahren, aber dort hat keiner was von ihm gehört. Er reagiert sehr emotional, wenn er wütend ist.« Sophie schlüpfte in ihre Jeans und war sich sicher, dass das Geräusch selbst in Penzance noch zu hören war und erst recht am Fuß der Treppe. »Ich weiß nicht, wo er ist, Louis. Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn; es kann alles Mögliche passiert sein.«
Sophie hielt sich am Geländer fest, während sie zuerst den einen, dann den anderen Socken anzog. Sie wusste es; sie wusste, wo er vergangene Nacht bis etwa zwei Uhr gewesen war, bis zu dem Zeitpunkt, als er versuchte, sie zu küssen, beziehungsweise sie tatsächlich geküsst hatte, je nachdem, wie sehr sie die Augen vor der Wahrheit verschließen wollte.
»Ihm geht es sicher gut«, beruhigte Louis Wendy. Sophie beobachtete, wie er sie in die Arme schloss, und ihr schnürte sich die Brust zusammen, als sie ihn eine andere Frau umarmen sah. »Er ist ja kein Kind mehr. Er kann auf sich selbst aufpassen.«
»Ich weiß.« Wendys Stimme wurde von Louis’ Schulter gedämpft, und Sophie wusste genau, welchen Duft Wendy jetzt einatmete; eine Mischung aus Schweiß und Sex und einen feinen Hauch des Aftershaves von gestern. »Es ist ja nur, weil, wie gesagt, er manchmal ein bisschen unbesonnen ist … Das heißt, er handelt, bevor er nachdenkt. Er hat eine selbstzerstörerische Veranlagung. Als ein Mädchen, das er sehr gemocht hat, im letzten Sommer mit ihm Schluss gemacht hat, da hat er eine Sauftour unternommen und sich am Ende mit drei Männern geprügelt. Er hat sich dabei vier Rippen gebrochen und das Knie ausgerenkt.« Sophie hörte, wie Wendy scharf einatmete. »Was ist, wenn er irgendwo in der Gosse liegt?«
»Okay …« Louis zögerte, und Sophie wusste, dass er herauszufinden versuchte, wie beunruhigt er sein sollte. »Hast du im Krankenhaus angerufen? Bei der Polizei?«
»Nein. Das habe ich nicht über mich gebracht. Deshalb bin ich hierher gekommen.« Sophie konnte Wendy nicht sehen, aber sie wusste in diesem Augenblick, dass sie mit tränenverschmierten Augen zu Louis aufblickte. »Vielleicht sollte ich dich damit jetzt nicht belästigen, aber ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden soll – ich habe gehofft, wir könnten es gemeinsam machen?«
Sophie rutschte das Herz in die Hose. Sie würde den beiden erzählen müssen, dass sie Seth getroffen hatte, dass er sehr betrunken gewesen war und Streit gesucht hatte. Hätte sie Seth und sein unüberlegtes Verhalten nicht mit eigenen Augen gesehen und mit den Lippen gespürt, dann wäre sie jetzt gewiss davon ausgegangen, dass Wendy sich das Ganze ausdachte oder zumindest übertrieb, um Louis nahezukommen, und der jähzornige, unbesonnene und irrationale Teil von ihr war noch immer dieser Meinung. Doch Wendy brauchte sich keine Komplikationen auszudenken, um zu Louis zu gehen. Sie hatte seinen Sohn, und das war schließlich Grund genug.
Trotz ihrer gemischten Gefühle Wendy gegenüber konnte sie einer Mutter keine Informationen über ein Kind vorenthalten, nicht einmal, wenn das Kind zwanzig Jahre alt war und sich erst vor Kurzem an sie herangemacht hatte. Die Mutterschaft mochte für sie ja Neuland sein, aber sie wusste, wie sehr die Sorge um Kinder, die man liebt, einem zusetzen konnte, und das durfte sie Wendy nicht antun. Als sie sich vorstellte, dass Bella oder Izzy vermisst würden, übermannte sie sogleich ein unverhofftes Mitgefühl für Wendy, und die Gefühlsaufwallung schnürte ihr die Brust zusammen und trieb ihr Tränen in die Augen. Mit einem Mal konnte sie es nicht mehr ertragen, wie Wendy sich fühlte, und sie wollte alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihr zu helfen. Sophie konnte sich die intensive Gefühlsaufwallung nicht erklären, die sie erfasste, und warum sie einer Frau, die sie nicht leiden konnte, plötzlich eine solche Sympathie entgegenbrachte, aber sie konnte sie auch nicht unterdrücken.
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und bemühte sich, das Schluchzen, das ihre Schultern beben ließ, unter Kontrolle zu bringen, dann holte sie tief Luft und ging die Treppe hinunter.
»Ach, Sie sind da«, sagte Wendy, als sie Sophie erblickte.
»Ja, ich kam nicht umhin, zufällig mitzuhören«, erklärte Sophie und bemühte sich um einen festen Klang in ihrer Stimme. »Mein Freund Cal ist gestern Abend aus London gekommen, und er wollte ein bisschen durch die Clubs ziehen; er, Carmen und ich sind
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