High Heels und Gummistiefel
wecke ich dich ja gar nicht auf, weil, du gehst ja nicht ran. Das ist gut so. Es ist sogar toll, dass du schläfst. Aber, äh, ich wollte so bald wie möglich mit dir reden, weil...«
Weil was? Weil ich deinen Brief von vor zwei Monaten eben erst gekriegt habe, weil ich nämlich in einem etwas langsameren Paralleluniversum lebe?
Daisy schwankte innerlich, dann fuhr sie in heller Panik fort: »Äh, also, ich glaube, am besten wäre es, wenn wir uns treffen könnten. Ich meine, ich weiß, du hast mit dem Buch viel zu tun, aber... Ruf mich an, sobald du das hier abgehört hast. Okay, Wiedersehen«, schloss sie atemlos.
Jetzt würde sie warten müssen, bis Etienne aufwachte, seinen Anrufbeantworter abhörte und sich meldete. Anders ging es nicht. Oder... sie konnte einfach zu ihm gehen. Jetzt gleich, sofort. Kein Rumeiern – einfach den Mantel anziehen und los! Schließlich wusste sie, wo er wohnte. Und wenn das hier kein Notfall war, was war dann einer? Daisy stand auf und verschwendete zum ersten Mal seit ihrem achten Lebensjahr – als sie angefangen hatte, sich ihre Kleider selbst aus dem Bestellkatalog auszusuchen – keinen Gedanken daran, was sie anziehen sollte. Eilig streifte sie den Mantel über ihr Nachthemd. Da drüben lag einer der ausgelatschten
pinkfarbenen Turnschuhe, die sie gestern angehabt hatte, bevor sie sich für den Ball umgezogen hatte. Sie brauchte kaum eine Minute, um seinen Partner hinter dem Sofa ausfindig zu machen. Nachdem sie sich ihren Pashmina um den Hals geknotet hatte, kritzelte sie einen Zettel für Anouk, schnappte sich ihre Abendtasche und ging hinaus auf die Straße.
Anouk wohnte in einer winzigen Straße im Marais. Daisy hatte gehofft, draußen ein Taxi zu finden, doch es waren keine da, also machte sie sich kurz entschlossen auf den Weg zur Rue de Rivoli, und von dort aus zum Fluss. Es war noch dunkel, und die Straßen waren still, doch es gab schon Anzeichen dafür, dass Paris erwachte: Müllmänner waren in ihren grünen Lastwagen unterwegs, Zeitungsbündel wurden vor den Kiosken abgeladen. Daisy ging weiter. So musste es sein, wenn man eine Brieftaube war. Ein paar Minuten, nachdem sie die Brücke überquert hatte, kam sie auf der Rue des Écoles heraus.
Eines der sehr wenigen privaten Dinge, die sie über Etienne wusste, war, dass er eine chambre de bonne gemietet hatte – eine winzige Einzimmerwohnung -, von der er behauptete, sie wäre die kleinste von ganz Paris. Dies war ein vorübergehendes Arrangement, während seine eigene Wohnung renoviert wurde.
Daisy bog in die Rue Monge ein, und da war er plötzlich, der Place du Cardinal-Lemoine; alle Geschäfte waren noch geschlossen und die Eisengitter davor heruntergelassen. Etienne wohnte in einer Straße gleich hinter dem Platz, in der Rue des Boulangers. Hurra: Da war sie, genau vor ihr. Nachdem sie Etiennes Wohnhaus ausfindig gemacht hatte, stand Daisy vor der porte cochère und starrte frustriert auf das unbezwingliche Tastenfeld mit Zahlen und Buchstaben, das die Tür bewachte. Man konnte das Gebäude nur betreten, wenn man den richtigen Code eingab.
Daisy kannte ihn nicht und hatte keine Möglichkeit, ihn zu erraten.
Es war jetzt fast sechs Uhr. Sollte sie noch einmal versuchen, ihn anzurufen? Oder später noch einmal wiederkommen? Gerade wandte sie sich zum Gehen, als die Tür sich plötzlich weit öffnete, wie als Antwort auf ihr Sehnen. Eine alte Dame kam heraus, mit einem eleganten kleinen Hund an der Leine – ein brauner Terrier in einem karierten Mäntelchen. Die Frau hielt Daisy die Tür auf, die sich bedankte und eintrat.
Nur eine Treppe und kein Fahrstuhl. Dankbar für das Training, das sie in Isabelles Apartmenthaus in den letzten Monaten absolviert hatte, sprang Daisy mit großen Sätzen die Stufen hinauf bis ins oberste Stockwerk. Dort gab es sieben Türen, doch der Name Etienne Deslisses stand deutlich lesbar über einer der Klingeln. Sie kniff sich in die Wangen und schüttelte ihr Haar aus, und dann, bevor sie sich selbst in Angst und Schrecken versetzte, indem sie zu viel darüber nachdachte, was sie tat, drückte sie auf die Klingel. Auf der anderen Seite der Tür war es still. Sie klingelte abermals, zweimal, und dann noch einmal, denn drei war eine Glückszahl. Diesmal war einiges an Unruhe zu vernehmen; vermutlich ging Etienne gerade senkrecht an die Decke, ehe er aus dem Bett fiel.
»Oui?«, brummte er hinter der Tür und klang nicht eben erfreut.
»Etienne, ich bin’s, Daisy.«
Eine
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