High Heels und Gummistiefel
dir nur dein kleines Keuschheits-Intermezzo, aber sobald du wieder nach London zurückkommst, suchen wir dir einen erstklassigen, umwerfend gut aussehenden, super leckeren Typen, das verspreche ich dir.«
»Danke, Chrissie.« Daisy drückte ihn ihrerseits fest an sich.
»Wo wir gerade beim Thema sind...«, fuhr Chrissie langsam fort und sah plötzlich völlig gebannt aus. »Wer ist das?«
Daisy folgte seinem Blick. Alles, was sie ausmachen konnte, war Bertrand, der allein auf einem kleinen vergoldeten Sofa saß und träumerisch einen Teller voll petits fours vertilgte.
»Das ist Bertrand, ein Freund von Octave. Aber ich dachte, ihr seid alle zusammen hergekommen? Du hast ihn doch bestimmt vorhin kennengelernt.«
»Darling, glaub mir, an diese Wangenknochen würde ich mich erinnern, wenn’s so wäre«, entgegnete Chrissie und betrachtete Bertrand wohlgefällig. »Das muss der gewesen sein, der den Helm aufhatte,
als sie uns in ihren göttlichen Lederklamotten abgeholt haben. Und dann ist er auf mysteriöse Weise verschwunden, als wir hier angekommen sind.«
»Ja, das kommt hin«, bemerkte Daisy und nickte. »Bertrand macht sich immer sofort auf den Weg zum Buffet, wenn er auf eine Party kommt.«
Als sie sah, wie Chrissie aufstand und sich zu der verspiegelten Wand umdrehte, um mit flinken, geübten Bewegungen seine weiße Krawatte zurechtzurücken, sagte sie sanft: »Chrissie, warte. Bertrand ist vollkommen hetero.«
Chrissie sah sie ernst an. »Ah ja, natürlich, Darling«, pflichtete er ihr bei, ehe er den Kopf in den Nacken warf und ein silbriges Lachen ausstieß.
Daisy grinste zurück. Der Instinkt ihres Freundes hatte sich in der Vergangenheit als ziemlich unfehlbar erwiesen.
»Hilf mir mal, Daisy-Darling. Ich brauche einen Tipp, wie ich ihn ansprechen kann. Was heißt noch mal ›Auge‹ auf Französisch? La œil?«
»L’œil«, verbesserte ihn Daisy automatisch. »Im Französischen ist das Auge maskulin.«
»Wie passend«, stellte Chrissie fest, die eigenen Augen noch immer auf Bertrand gerichtet. »Und ›Stern‹ heißt... l’étoile? «
»Ja«, bestätigte Daisy kichernd. »Aber ›Augenstern‹ kann man nicht wirklich ins Französische übersetzen. Versuch’s mal damit, stattdessen ›Bonsoir‹ zu sagen.«
»Geht klar. Bis später, meine Engel.« Entschlossen glitt Chrissie in Richtung Bertrand davon.
Daisy und Jules sahen, wie er sich neben dem jungen Pique-Assiette niederließ und sich ein petit four schnappte, während er die ganze Zeit lebhaft plauderte. Bertrands Gesicht, bemerkte Daisy, schien aufzuleuchten.
Minuten später lachten die beiden miteinander.
»Chrissie verblüfft mich doch immer wieder«, meinte Daisy. »Ihr beide habt mir wirklich gefehlt.«
»Ja«, brummte Jules, räusperte sich und schob ihre Brille hoch.
Daisy lächelte. Ihre Freundin, das wusste sie, war zutiefst gerührt und wollte es nicht zeigen. Schweigend saßen sie da, dann fragte Jules kurz und knapp: »Also, Paris: gute oder schlechte Zeiten?«
Daisy schloss die Augen. Sie sah es alles vor sich, wild durcheinander: Ihre Picknicks in Isabelles kleiner Wohnung, das blanke Schaufenster von Anouks Boutique, der Strand am Seineufer voller eleganter Pariser, Etiennes Gesicht, während er aufmerksam ihren Überlegungen zum Thema Mode lauschte, und die Kinoleinwand auf der Party in den catacombs, auf der wieder und wieder der Satz »Paris Gehört Uns« aufleuchtete.
»Oh, gute Zeiten! Auf jeden Fall!«, erwiderte sie und öffnete die Augen wieder. »Es war ein echtes Abenteuer. Ich habe ein paar tolle neue Freunde gefunden. Und außerdem habe ich eine Menge über das Leben gelernt.«
»Klar. Was denn, zum Beispiel?«
»Vielleicht... dass man nicht immer alles haben kann«, antwortete Daisy bedächtig. »Und dass das völlig okay ist. Man muss es so nehmen, wie’s kommt.«
Wortlos schob Jules ihren Arm unter den von Daisy. Ihre Freundin lächelte sie an und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.
»Das Jahr ist fast vorüber. Bald komme ich nach Hause. Und dann kann ich auf das alles zurückblicken und sagen: ›Auf Wiedersehen, Paris – es war schön.‹«
ENDE
Nun ja, nicht ganz...
Epilog
Daisy rollte sich von der Wand weg und räkelte sich schläfrig. Wie spät war es überhaupt? Vermutlich mitten in der Nacht. Mit geschlossenen Lidern zählte sie langsam fünfzig Schäfchen, dann öffnete sie die Augen wieder und schaute zur Decke hoch. Die kam ihr ungewohnt vor, viel höher als sonst. Sie
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