High Heels und Gummistiefel
doch keiner vermisst.« Er räusperte sich. »Verstehst du, manchmal gönnen wir uns eben eine kleine Trophäe.«
»Wie seid ihr reingekommen?«
»Hinten an der Regenrinne hochgeklettert und dann durch ein Fenster.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Doch, absolut. Ehrlich gesagt...« Einen Augenblick lang sah er Daisy an, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, vergiss es.«
»Was denn? Was?«
Jetzt rückte Octave um den Tisch herum, so dass er direkt neben ihr saß; sein Gesicht war ihr sehr nahe. Er hatte Grübchen. Außerdem roch er sehr, sehr gut. Typisch aalglatter Franzose. Überhaupt nicht ihre Kragenweite.
»Hättest du Lust, heute Abend mitzukommen? Ist nur eine Vernissage in einer Kunstgalerie, aber es dürfte interessant werden. Und danach gibt’s eine Eröffnung von so einem Restaurant-Club-Lounge-Dingsda, très hype.«
»Très hype, sagst du?«
»Ja«, flüsterte Octave und beugte sich noch ein wenig weiter zu ihr vor. Lächelnd hielt Daisy seinem Blick stand, dann wich sie sehr langsam vor ihm zurück. Allmählich machte ihr das Ganze Spaß. Also, würde sie heute Abend mitkommen? Ja, sie würde.
Aus irgendeinem Grund brauchte Daisy noch länger als sonst zum Anziehen. Das hatte e indeutig überhaupt nichts mit Octave zu tun. Es war immer schwerer, etwas Passendes zu finden, wenn es heiß war. Glücklicherweise würde sie sich bei der Mission des heutigen Abends nicht irgendwo abseilen oder durch irgendwelche Büsche kriechen müssen, daher konnte Daisy etwas Knappes tragen, ein deutig die praktischste Option. Dieses kurze Punk-Teilchen – ein rotes Spaghettiträger-Kleid, verziert mit Dutzenden von Reißverschlüssen – wäre bestens geeignet. Sie kombinierte es mit Sportschuhen aus rotem Lackleder und band sich das Haar zu einem hoch sitzenden Pferdeschwanz, um es so kühl wie möglich zu haben.
Als sie auf dem Weg nach draußen an dem Spiegel in der Diele vorbeikam, sah sie, dass sich wie üblich ein paar Locken aus dem
Gummiband gelöst hatten. Agathes Haar dagegen war stets diszipliniert und makellos. Wie machte sie das nur?
Octave, der in schmalen schwarzen Hosen und dunkelblauem Hemd ziemlich gut aussah, wartete unten auf sie, an seinen schwarzen Motorroller gelehnt. Als er ihr für den Begrüßungskuss die Hand ins Kreuz legte, wurden Daisy ein wenig die Knie weich.
»Dein Kleid gefällt mir«, meinte er. »All diese Reißverschlüsse. Wirklich vielversprechend.«
Dann deutete er mit fragendem Blick auf die Herzbrosche. Daisy erklärte.
»Ja, es ist Kitsch«, erwiderte er mit einem Lächeln. »Aber das spielt keine Rolle, weil du Cristalle trägst.«
Daisy war beeindruckt. Ein Hetero, der ihr Lieblingsparfum von Chanel erkannte. Galant bestand Octave darauf, Daisy eigenhändig ihren Helm aufzusetzen. Sie stieg hinter ihm auf, fasste ihn fest um die Taille, und sie sausten los, in Richtung Saint-Germain-des-Prés, wo sie sich in einem Café gegenüber ihres ersten Anlaufpunktes mit den beiden anderen pique-assiettes treffen wollten.
Stanislas und Bertrand begrüßten Daisy mit großem Trara, allerdings nicht ohne die übliche angedeutete Ironie.
Während Daisy eine erfrischende citron presse trank, erläuterte Stanislas ihren Angriffsplan: »Als Erstes muss man sich in einem Fall wie diesem – wenn man keine Einladung hat – einen Beobachtungsposten suchen und den Eingang im Auge behalten.«
Daisy schaute über die Straße. Ein stämmiger Mann in Schwarz stand an der Tür der Galerie. Deren schneeweißes Inneres war bis auf ein paar schwarz gekleidete junge Frauen, die mit ihren Handys telefonierten, noch leer.
»Les attachées de presse - die PR-Mädchen.« Mit einem Kopfnicken deutete Bertrand in ihre Richtung.
»Gut, dass die normalerweise nie sehr lange in ihren Jobs bleiben«,
warf Stanislas ein. »Sonst würden sie uns bald wiedererkennen.«
»Und gut, dass PR-Weiber nicht allzu schlau sind«, fügte Bertrand hinzu. Octave versetzte ihm unter dem Tisch einen kräftigen Tritt. »Außer dir natürlich, Daisy«, beteuerte Bertrand hastig. Er sah so betreten aus, dass Daisy lachen musste.
»Wisst ihr, ihr solltet uns wirklich nicht unterschätzen«, meinte sie verschmitzt und warf Octave einen Seitenblick zu. Er lächelte zurück. »Wenn ich in London bei einer Modenschau an der Tür stehe«, fuhr sie fort und musterte sie alle streng, »dann bin ich sehr höflich, aber auch völlig erbarmungslos. Ich merke es immer, wenn jemand versucht, sich reinzumogeln. Das
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