High Heels und Gummistiefel
fertig.«
»K-k-kool and the Gang.«
Isabelle steckte das Notizbuch weg und blickte zur Tür. »Glaubst du, es kommt noch jemand?«
»Oh, keine Angst, Darling. The Coven haben ihr eigenes Gefolge. Ich hab’s gesehen. Ist echt unheimlich. Schau’s dir an.«
Isabelle folgte seinem Blick. Das Publikum des heutigen Abends trudelte allmählich ein. Zuerst fiel es Isabelle schwer, Details auszumachen: Es war wie eine schwarze Flutwelle. Nach einiger Zeit jedoch merkte sie, dass le style goth es einem wie alle Uniformen eigentlich leichter machte, die Gesichter der Menschen wahrzunehmen. Und was für Gesichter waren das. Allem Anschein nach gab es wirklich so etwas wie schwarzen Lippenstift, und Goths konnten gar nicht genug davon kriegen, besonders, wenn er auf Gesichter aufgetragen war, die so weiß waren, dass sie fast blau wirkten, und vor Piercings nur so starrten. Nach und nach begriff Isabelle, dass Jules’ üblicher Aufzug – schwarze Jeans und T-Shirts – tatsächlich eher zurückhaltend war. Andere weibliche Goths schreckten nicht vor geradezu irrwitzigen Kostümierungen zurück: ein Samtcape mit schwarzen Perlenfransen und Kapuze über einem roten Korsettkleid aus Gummi, zum Beispiel, oder ein lila Kleid mit Kimonoärmeln und eine Handtasche in Sargform als Accessoire. Und dann die Frisuren. Manche Leute kräuselten sich das Haar, so dass es vom Kopf abstand. Andere zogen es vor, ihre Locken durch tentakelartige Gummischläuche zu fädeln, nachdem sie sich vorher sicherheitshalber noch die Augenbrauen abrasiert hatten.
Innerhalb von zwanzig Minuten, nachdem die Ersten eingetroffen
waren, hatte sich die Atmosphäre im Dungeon vollständig gewandelt. Das Management hatte irgendeine angemessen trauervolle Rockmusik aufgelegt, und in jeder Ecke und jedem Winkel plauderten Goths miteinander. Isabelle fiel auf, dass sie anscheinend alle dasselbe tranken, und überraschenderweise war es kein Bier.
»Absinth, Darling.«
Im Pub war es mittlerweile ziemlich laut geworden.
»Was hast du gesagt? Sie sind was?«
»Nein, das ist der Goth-Drink du jour. Da fahren die alle total drauf ab.«
»Absinthe?«, stieß Isabelle hervor, als hätte urplötzlich ein Einhorn den Raum betreten. »Aber nein, das ist unmöglich. Das Zeug existiert doch gar nicht mehr. Es ist verboten worden; es ist äußerst gefährlich! In Frankreich haben sich im 19. Jahrhundert viele Dichter und Künstler mit Absinth zugrunde gerichtet. Sie sind blind geworden oder wahnsinnig, oder sie sind gestorben.«
»Wirklich, Darling? Wie traurig.« Chrissie hielt inne, um an einem Chip zu knabbern. »Aber andererseits könnte ich mir vorstellen, dass so was das Zeug für unsere kleinen Freunde nur noch reizvoller macht.« Er senkte die Stimme. »Die verführerische Umarmung des Todes! Wie ungeheuer spannend! Obwohl, eigentlich glaube ich ja, dass du recht hast«, fügte er hinzu, belustigt über Isabelles entsetzte Miene. »Das alte Zeug ist total illegal. Das hier ist bloß so ein langweiliger Anisfusel.«
Eine Gruppe Coven-Fans hatte sich bereits die Plätze am Fuß der Bühne im Nebenraum gesichert. Nach und nach gingen auch alle anderen hinüber, einschließlich Chrissie und Isabelle. Das Licht wurde abgedunkelt, und Gejohle erhob sich aus der Menge.
Vier Silhouetten kamen hinter einem schwarzen Vorhang hervor. Die Erste stapfte mit völlig reglosem Oberkörper langsam zum linken Bühnenrand: Es war Jules.
»Hach, Isabelle, sieht sie nicht umwerfend aus? Ich fühl mich wie ein stolzer Vater.«
Tatsächlich sah Jules, hochgewachsen und schlank, in ihrem bodenlangen Ledermantel und den knöchelhohen Schnürstiefeln im viktorianischen Stil ziemlich spektakulär aus. Ausnahmsweise hatte sie ihre Brille weggelassen, damit man das aufwendige Bühnen-Make-up besser sehen konnte, das Chrissie ihr verpasst hatte – eine opulente Angelegenheit aus Eyeliner und falschen Wimpern, die sie aussehen ließ wie einen Filmstar aus den 20ern. Dann ließ sich eine rothaarige junge Frau in Röhrenhosen aus PVC und Armband-Tattoos hinter dem Schlagzeug nieder.
»Das ist Ivy«, erklärte Chrissie hilfsbereit. »Und da ist Belladonna.«
Ein pummeliges Mädchen mit glattem, rabenschwarzem Haar nahm ihren Platz hinter dem Synthesizer ein.
»Und das ist Legend.«
Die Lead-Gitarristin betrat als Letzte die Bühne; sie trug Stiefel mit so enorm hohen Plateausohlen, dass sie ebenso gut auf Stelzen hätte gehen können, und ihr Haar war sehr hoch am Kopf zu einem
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