Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

High Heels und Gummistiefel

Titel: High Heels und Gummistiefel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Zagha
Vom Netzwerk:
Pferdeschwanz zusammengebunden. Das Publikum begann einen rhythmischen Sprechgesang; sie riefen etwas, das Isabelle nicht verstand.
    »Das ist der Name des Sängers: Karloff.«
    »Er heißt Carlos?«
    »Nein, noch besser«, antwortete Chrissie dicht an ihrem Ohr. »Karloff, wie Boris. Er ist sozusagen ein Original.«
    Die Drummerin hob die Schlagstöcke und ließ sie dann mit ohrenbetäubendem Dröhnen niedersausen. Es fühlte sich an, als habe jemand Isabelle in den Magen geboxt. Jules und Legend begannen zu »spielen«. Es war dasselbe misstönende, metallische Getöse, an das sich Isabelle von dem Ausflug nach Brighton her erinnerte. War
das »Eviscerate Me«? Möglicherweise. Genau konnte sie es nicht sagen. Sie hielt sich die Ohren zu und hoffte, dass die umstehenden Fans zu beschäftigt wären, um es zu merken und Anstoß an ihrem Mangel an Begeisterung zu nehmen. Die Menge begann zu brüllen und mit den Füßen zu stampfen. Dann bemerkte Isabelle eine Bewegung hinter dem Bühnenhintergrund, als versuche ein Insekt, das sich irgendwo verfangen hatte, sich zu befreien.
    »Mach dich bereit, Darling. Gleich wird Karloff bei uns sein.«
    Wie aufs Stichwort erschien Karloffin der Manier einer Kanonenkugel auf der Bühne. Isabelle war voll Bewunderung für die geübte Art und Weise, mit der Jules haargenau im richtigen Augenblick ein paar Schritte zur Seite trat, um eine Kollision zu vermeiden. Karloff rannte geradewegs auf die Wand zu und stieß dann einen durchdringenden Schrei aus, genau im Einklang mit der Musik. Das Publikum geriet völlig außer sich und heulte vor Entzücken. Karloffs Oberkörper war in bizarre schwarze Stoffwickel gehüllt, die ihm allem Anschein nach die Arme an den Brustkorb fesselten.
    Isabelle wandte sich zu Chrissie um. »Das verstehe ich nicht. Was hat er denn da an?«
    »Ach, das! Na, das ist Karloffs schwarze Zwangsjacke, natürlich. Das ist sein Markenzeichen, weißt du? Hat irgendwas mit viktorianischen Irrenanstalten zu tun. Er fährt echt total auf diese Vibes ab.«
    Karloff war vornübergekrümmt von einem Ende der Bühne zum anderen gerannt. Jetzt drehte und wand er sich in der Bühnenmitte; die Ärmel seiner Zwangsjacke flatterten wie Flügel. Im Laufe des nächsten Liedes tauchte er daraus hervor und enthüllte ein schwarzes Hemd, weite schwarze Cargohosen und Halsketten aus schwarzen Perlen. Mit seinem schwarzen Augen-Make-up sah er aus wie ein verrückt gewordener Panda.
    Als das Konzert seinen Lauf nahm, versuchte Isabelle, an etwas
anderes zu denken, um sich von dem Krach abzulenken. Hätte sie doch nur genug Weitsicht besessen, ihre Ohrstöpsel mitzubringen. Sie sah sich in der Menge um. Ein paar der Männer waren als Dichter der Romantik verkleidet, mit weißen Rüschenhemden und Umhängen; sie hatten sogar Gehstöcke mit silbernen Spitzen dabei.
    Dann schaute sie wieder auf die Bühne. Irgendetwas hatte sich verändert. Obwohl Karloff noch immer in der Mitte der Bühne stand, hatte er sich nicht dem Publikum, sondern Jules zugewandt, die sich ihrerseits zu ihm herumgedreht hatte. Wumm, wumm, wumm machte Jules mit ihrer Bassgitarre. Dabei sah sie... anders aus, lebendig und sogar... andächtig. Und sie... starrte Karloff an! Isabelle nahm den Frontman der Band genauer in Augenschein. Er »sang« (ein unverständliches Jaulen) und »tanzte« (stolperte in seinen Riesenstiefeln umher wie ein Bär) im Einklang mit Jules’ Instrument. Isabelles Gehirn begann zu rattern. Sie blickte von Jules zu Karloff und wieder zurück. Die beiden funkelten einander mit schwarz umrandeten Augen finster an, ihre Körper schwankten, und Karloffs Stimme ertönte als Antwort auf Jules’ Rhythmus. Zwischen ihnen war eine Art Energie, wie eine mächtige, unsichtbare Kette, an der ständig gezerrt wurde. Ja, natürlich! Es bestand kein Zweifel. Nachdem es zu dem offensichtlichen Schluss gekommen war, fuhr Isabelles Gehirn das Tempo wieder zurück, und sie lächelte. Wie ungemein faszinierend.
    Sie wandte sich Chrissie zu, der sich herabbeugte, damit sie ihm mehr oder weniger ins Ohr brüllen konnte. »Sind Jules und Karloff eng befreundet?«
    Einen Augenblick lang sah Chrissie verstimmt aus. »Ich nehme es doch an , Schätzchen. Ja, sie verstehen sich bestimmt ganz gut.«
    »Nur das: ›gut verstehen‹?«
    Chrissie folgte Isabelles Blick und schaute auf die Bühne. Das
Mikrofon an die Brust gedrückt, wand Karloff sich zu Jules’ Füßen am Boden wie ein überdrehter Welpe.
    »Na ja...«

Weitere Kostenlose Bücher