Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
die Macdonalds die Rechte übernahmen. Das war immer so gewesen, schon seit der Schlacht von Bannockburn anno 1314. Warum setzte man sie ausgerechnet jetzt, bei einer so wichtigen Gelegenheit, als linken Flügel ein? Weder John noch Coll konnten ihm eine Erklärung geben, sie waren ebenso verblüfft wie er. Das verhieß nichts Gutes …
Sie hatten sich im hohen Gras am Rande der sumpfigen Ebene versteckt. Die durchgefrorenen Krieger traten von einem Fuß auf den anderen, um sich zu wärmen. In ihrer Nähe intonierte eine Gruppe neugieriger Anwohner den zwanzigsten Psalm, das Gebet des Volkes für seinen König in Kriegsnot: »Hilf, Herr, du König! Er wird uns erhören, wenn wir rufen …«
Die Krieger hatten ihre Plaids zu Boden geworfen; der Wind ließ die Kilts um ihre Schenkel flattern. Der Klang des Dudelsacks hallte über die Ebene. Aber die Sonne stand nicht am Himmel, um den Stahl der großen, zweischneidigen Schwerter aufblitzen zu lassen. Das Himmelsgestirn floh das Entsetzen, das nun folgen musste. Der Himmel war düster; die Wolken hingen so tief, dass Alexander den Eindruck hatte, sie berühren zu können. Er wäre so gern bei den anderen gewesen …
Weiter vorn war eine schmale rote Linie zu erkennen: die englischen Truppen. Die Dudelsäcke dröhnten hingebungsvoll; die Highlander schrien ihre Kriegslosungen wie einen Jubelgesang. Aber irgendwie klang alles falsch. Zum Rollen von Trommeln breitete sich die Linie der Rotröcke aus. Die Engländer hatten viele Kanonen … geladen und bereit, Tod über Tausende von Männern zu bringen … um eines Königs willen …
Alexander hatte Leticia nicht näher kommen hören. Er zuckte zusammen, als sie ihm über die Wange strich.
»Warum weinst du?«
»Ich weine gar nicht.«
Alexander fuhr so heftig herum, dass sie zusammenzuckte. Er war böse auf sich selbst: ein so jämmerliches Theater vor einer Frau aufzuführen, die selbst Trost brauchte …
»Doch!«
Sie fuhr über seine Wange und zeigte ihm ihre tränenfeuchten Finger. Dann setzte sie sich neben ihn und bot ihm ihre Pfeife an.
»Ich weiß, dass noch etwas anderes außer Evans Tod dich bedrückt.«
»Es gibt nichts zu erzählen«, brummte er mit zusammengebissenen Zähnen.
»Mach dich nicht über mich lustig, Alex. Das ertrage ich nicht… gerade heute nicht.«
Er reichte ihr die Pfeife zurück. Beißender Tabakrauch stieg in die Luft, der Rauch brannte in seinen Augen.
»Erinnerungen … Culloden. Du kennst ja die Geschichte.«
»Hmmm … Du warst dort?«
»Ja.«
»Damals musst du noch sehr jung gewesen sein.«
»Vierzehn, glaube ich.«
»Du hast die Schlacht miterlebt?«
»Ja.«
Der Donner grollte und ließ die Erde erbeben. Der Himmel spie auf die Gottlosen und weinte um die Unschuldigen. Der Tod regnete auf sie herab. Ohnmächtig wohnten John, Coll und er, Alexander, der Kanonade bei, welche die Hoffnungen eines ganzen Volkes zerstörte und die Clans dezimierte. Reglos und vor Entsetzen erstarrt verharrten sie und spürten nicht, wie der Schnee sich über ihre Körper ausbreitete wie ein dünnes Leichentuch.
»Kratzt die Rohre! Wischt die Rohre! Ladet die Geschütze! Lunte! Feuer!« Das ohrenbetäubende Gebrüll der englischen Kanoniere war der Schwanengesang der Clans. Über dem Schlachtfeld stiegen die Schreie und das Stöhnen der Sterbenden auf. Selbst die ausschweifendste Fantasie hätte sich das Ausmaß des Massakers hinter dieser Rauchwand, die ihnen Augen und Lungen verbrannte, nicht vorstellen können.
Immer noch wehte der Wind, fuhr in den Rauchschleier und zerstreute ihn. Das Bild, das jetzt vor den jungen Männern lag, ließ Alexander zu Eis erstarren. Berge von Fleisch und Tartanstoff türmten sich auf dem schlammigen Boden. Es presste ihm die Luft aus den Lungen. Nur noch ein Gedanke beherrschte ihn: Er musste sein Volk retten, seinen Clan, seinen Vater …
Munro deklamierte immer noch seine gälischen Verse, das Lied der Clans für einen König, diesen König, für den sie sich hatten massakrieren lassen und ihrer Freiheit verlustig gegangen waren. Ironischerweise handelte es sich bei einem großen Teil der Soldaten, aus denen das Highlander-Regiment bestand, um Rebellen von 1745. Einige hatten die Gefängnisse von Inverness, Stirling, Edinburg, Carlisle, Southwark, York oder Lancaster kennen gelernt … Und so wie er hatten sie überlebt. Aber ein Teil ihrer selbst war in diesen widerwärtigen Kerkern gestorben. Das glaubte Alexander
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