Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Frau. Alexander hatte ihr Evans persönliche Habe übergeben, die rechtmäßig ihr gehörte, darunter auch das Testament. Die beiden waren sich einig, dass es nicht in Frage kam, es zu erfüllen … im Moment jedenfalls nicht.
Trotz allem, was Alexander unbestreitbar für sie empfand … wollte er Leticia wirklich heiraten? Wollte er, der stets wie ein Vagabund auf der Heide der Highlands gelebt hatte und nichts besaß, sich tatsächlich für das ganze Leben an eine Frau binden? Auf der anderen Seite vermochte der junge Mann sich nicht mit der Vorstellung anzufreunden, dass sie allein fortgehen könnte … vor allem, nachdem er miterlebt hatte, was einer Frau, die allein in den Feldern unterwegs war, zustoßen konnte.
»Ich habe etwas für dich, MacCallum …«
Er öffnete seinen Ranzen und zog ein Stoffbündel hervor, das er auf sein Lager legte. Verständnislos sah Leticia auf den Berg von Kleidungsstücken.
»Alex … Was ist das?«
»Du glaubst doch wohl nicht, dass du so, in Männerkleidern, fliehen kannst?«
Zufrieden lächelnd schlug er ein Hemd aus Baumwollstoff, einen Rock aus handgewebtem Tuch und ein kurzes Mieder aus braunem Filz auseinander.
»Hast du das alles für mich gestohlen?«
Er lachte herzhaft.
»Nun ja, der Rock ist mir zu kurz, und das Mieder engt mich ein wenig ein… Da habe ich an dich gedacht.«
Leticia entspannte sich und lachte mit. Das war heute das erste Mal, dachte er bei sich. Es erfüllte ihn mit Freude, sie über ein paar Stücke Stoff lächeln zu sehen. Leticia strich zärtlich über die Stickereien und Bänder, doch sie wagte nicht, die Röcke zum Probieren anzuhalten.
»O Alex!«
Der Blick ihrer grauen Augen, die wie ein Himmel voller Regenwolken wirkten, beunruhigte ihn. Tränen hingen plötzlich an ihren Wimpern und standen in ihren Augenwinkeln. Er wischte sie weg und ließ die Finger auf ihrer Wange verweilen.
»Da ist etwas, das ich dir sagen muss«, flüsterte sie. »Du musst es wissen…«
Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihren Leib.
»Ich erwarte ein Kind, Alex.«
Die Verblüffung verschlug ihm die Sprache. Ein Kind? Sie war schwanger?
»Bist du dir sicher? Ich meine …«
Sie nickte. Er sah auf ihren Bauch hinunter. Evans Kind… sie trug sein Kind… Jetzt hatte er keine andere Wahl: Er musste seinen Plan so rasch wie möglich in die Tat umsetzen.
»Jetzt verstehst du, warum ich dich brauche, Alex. Ich kann mir nicht erlauben, lange um Evan zu trauern. Aber ich tröste mich mit dem Gedanken, dass er immer bei mir, in mir ist.«
»Leticia, du darfst nicht länger warten!«
»Ich weiß, ich weiß. Kommst du denn mit mir, Alex?«
»O Leticia! Ich lasse dich nicht allein gehen… jetzt nicht mehr, unmöglich!«
Leticia wusste genau, dass er hin- und hergerissen war und mit seinem Gewissen rang. Inzwischen kannte sie ihn gut, obwohl er ein ziemlicher Einzelgänger und nicht besonders gesprächig war. Was sie von ihm verlangte, bedeutete, dass er den Grund fallen ließ, aus dem er zu König Georges Armee gegangen war: seine Fehler aus der Vergangenheit wiedergutzumachen. Hatte sie das Recht, ein solches Opfer von ihm zu verlangen? Nein. Aber sie brachte es nicht fertig, auf ihn zu verzichten. Sie brauchten ihn, ihr Kind und sie selbst.
Aber sie liebte ihn auch … seit jenem Tag, an dem er sie auf der Martello in der Segelkammer ertappt hatte. Ihre Gefühle hatten sie in Verwirrung gestürzt. Konnte man denn zwei Männer zugleich lieben? Aber genau das hatte sie empfunden. Evan hatte es immer gewusst, aber nie etwas gegen diese Zuneigung unternommen. Vielleicht hatte er geahnt, dass sie Alexander eines Tages brauchen würde. Nicht jeder Mann kehrte lebend aus dem Krieg zurück … So hatte sie beide Männer von ganzem Herzen geliebt, aber nur einem von ihnen ihren Körper geschenkt. Doch jetzt war Evan tot. War es schlecht, sich jetzt Alexander hinzugeben? Bedeutete das, dass sie die Liebe zu ihrem Mann verleugnete?
In Gedanken verloren streichelte Alexander zerstreut ihren Arm. Nein, entschied sie. Wenn Evan verlangte, dass sein Freund sie nach seinem Tod heiratete, dann deswegen, weil er ihnen seinen Segen gab. Sie betrachtete Alexanders Profil. Seine Adlernase ließ ihn ein wenig derb aussehen, und sein Mund mit den vollen, leicht schmollend aufgeworfenen Lippen deutete auf ein hitziges Temperament hin. Seine rauen Züge erinnerten sie an Evan. War es das, was ihr gleich zu Beginn an ihm gefallen hatte? Oder eher der Blick seiner
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