Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
saphirblauen Augen, durch die man wie durch klares Wasser in seine Seele schauen konnte? Eine verletzte, getriebene Seele war das, die auf diesem elenden Planeten verzweifelt nach dem Sinn ihrer Existenz suchte. Auch in Evans Blick hatte dieses düstere Leuchten gelegen, das sie so berührt hatte. Ein leises, bitteres Lachen entrang sich ihr und riss Alexander aus seinen Grübeleien.
»Wie lange bist du schon schwanger?«
»Drei Monate vielleicht, länger nicht.«
»Drei Monate! Hat Evan davon gewusst?«
»Ja.«
»Bald wirst du deinen Zustand nicht mehr verbergen können! Und du darfst nicht mehr hinter den Wilden herjagen. Das ist viel zu gefährlich. Und dann könntest du dir noch die Ruhr einfangen. Wir müssen Lebensmittel für einige Tage zusammenbringen, und dann brechen wir auf. In einer oder zwei Wochen werden wir frei sein, Leticia …«
Sie nickte und legte die Hand auf seine Wange, die warm und ein wenig rau war. Die Muskeln unter ihren Fingern spannten sich an. Alexander schloss die Augen, nahm ihre Hand und küsste ihre Finger.
Mit einem Mal wurde die Zeltklappe zurückgeschlagen. Coll trat ein und erstarrte sogleich. Leticia stieß einen Schrei aus und griff eilig nach den Frauenkleidern, um sie zu verstecken. Ein paar Sekunden lang stand Coll sprachlos da, dann räusperte er sich.
»Ich wollte nicht… Ich dachte nicht, dass … Bedaure.«
Alexander sah seinen Bruder an. Coll wusste Bescheid über Leticia. Aber er ahnte noch nichts von der neuen Wendung, die ihre Beziehung seit Evans Tod genommen hatte. Was würde er über sie denken? Leticia wandte ihnen zutiefst verlegen den Rücken. Ihr Mangel an Vorsicht hätte sie beide teuer zu stehen kommen können. In Zukunft mussten sie besser aufpassen. Auf der anderen Seite könnte Coll ihnen ein wertvoller Helfer sein, wenn sie ihn in ihre Pläne einweihten …
Endlich drehte Leticia sich um. Unausgesprochen stimmte sie ihm zu, als hätte sie das Gleiche gedacht wie er.
»Sag es ihm, Alex. Er ist dein Bruder; er muss die Wahrheit erfahren.«
»Bist du dir sicher, dass du das wirklich willst?«
»Ja.«
7
Verwirrte Herzen
Der Regen hatte aufgehört, und die Sonne übergoss Québec mit ihrem warmen Schein. Die Wasserpfützen, die noch auf dem Boden standen, verdunsteten und verwandelten sich in einen Nebelschleier, der über den schlammbedeckten Straßen hing. Isabelle stützte die Ellbogen auf die Terrassenbalustrade des Château Saint-Louis und betrachtete das feindliche Lager auf dem anderen Ufer. Sie hatte sich angewöhnt, täglich herzukommen, um festzustellen, welche Fortschritte die englischen Befestigungen auf den Landzungen von Pointe de Lévy und Pointe aux Pères machten.
Hunderte von Zelten leuchteten in der Sonne und bildeten helle Flecken rund um die Kirche, deren spitzen Turm sie erkennen konnte. Einige kleine Befestigungen ragten auf, aber viel besorgniseinflößender waren die großen Geschützstellungen, die Tag für Tag wuchsen. Québec würde bombardiert werden. Nicolas hatte versucht, sie zu beruhigen und ihr versichert, die englischen Geschosse würden nie und nimmer die Rue Saint-Jean erreichen. Das Lagerhaus ihres Vaters allerdings war gefährdet, so wie die ganze Unterstadt. Nach und nach verließen die Bewohner ihr Viertel und suchten Unterschlupf bei anderen, die in der Oberstadt wohnten.
Zwei Tage nach der Landung der Engländer auf der Île d’Orléans hatte der Gouverneur angeordnet, die Stadttore zu schließen. Die Belagerung von Québec dauerte nun schon siebzehn Tage an. Nicolas war sehr beschäftigt gewesen, so dass sie ihn nur einige Male hatte sehen können. Und dazu waren ihre Begegnungen auch noch sehr kurz gewesen. Seit der Feind vor drei Tagen versucht hatte, an der Küste von Beauport an Land zu gehen, und unterhalb von Sault de Montmorency ein weiteres Lager errichtet hatte, hatten sie noch weniger Zeit füreinander. Doch wenn man Julien glauben wollte, der Madeleine regelmäßig Nachrichten schickte, hatten die Engländer schon jetzt viel mehr Männer verloren als bei der letzten Schlacht.
Unter diesen Umständen gab es nur selten Gelegenheiten, sich zu zerstreuen. Abendgesellschaften, Bälle und Picknicks fanden nicht mehr statt. Zum Glück hatte sie Madeleine. Gemeinsam gelang es den beiden Freundinnen zu vergessen, dass der Feind unmittelbar vor Québec stand, und ein wenig zu lachen.
Abgespannt und begierig, wieder in die relative Sicherheit ihres Elternhauses zurückzukehren, nahm Isabelle
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