Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
hingegebener Fraulichkeit.«
»Oh! Ich hätte dich nicht für so schamlos gehalten, Isabelle Lacroix!«
»Findest du die Verse von Voltaire denn nicht bezaubernd? Gib doch zu, dass sie dich ein wenig haben erschauern lassen! Hmmm … Voltaire ein Atheist, das kann schon sein. Aber man kann nicht behaupten, dass er der Liebe gegenüber unsensibel sei! Wie könnte ein Mann solche Worte finden, wenn er nicht wüsste, was Liebe ist? Glaube mir, Mado, dieser Voltaire kennt die Leidenschaft!«
»Aber dieses Buch ist bestimmt von der Kirche verboten! Sollte deine Mutter es jemals hier finden…«
»Du hast doch nicht vor, es ihr zu verraten, oder, Cousine Mado? So etwas würdest du doch nicht tun?«
Madeleine warf Isabelle einen schelmischen Blick zu. Es stimmte, als sie den gewagten Versen lauschte, da waren ihr Schauer über die Haut gelaufen. Julien fehlte ihr so. Seit dem Beginn der Belagerung hatte sie ihn nur dreimal gesehen. Sie hatten sich hinter der Gartenmauer der Ursulinen, in der Nähe einer Baumgruppe, getroffen. Ihre Umarmungen waren kurz gewesen, aber die Gefahr, vielleicht überrascht zu werden, hatte ihren Reiz nur noch erhöht. Die junge Frau spürte, wie ihr bei der Erinnerung an die Lust, die sie empfunden hatte, das Blut in die Wangen schoss. Isabelle war das nicht entgangen.
»Ich sehe, dass meine Lektüre lüsterne Gedanken in dir geweckt hat … Erzählst du mir davon?«
Madeleine wirkte zuerst verlegen, dann prustete sie vor Lachen und ließ sich neben Isabelle aufs Bett fallen. Nachdem sie sich endlich beruhigt hatten, schwiegen beide, jede in ihre eigene Traumwelt versunken.
»Mado …«
»Hmmm …«
»Wie… wie ist es, mit einem Mann zusammen zu sein?«
Ein befangenes Schweigen senkte sich über sie.
»Mado?«
»Isabelle, wie kann eine junge Frau in deiner gesellschaftlichen Stellung mich so etwas fragen?«
»Nun ja … Ich will es eben wissen. Antworte mir doch, bitte!«
»Ich kann mit dir nicht über solche Dinge sprechen! Darüber redet man nicht. Vor allem nicht mit einem jungen Mädchen deines Alters. Also wirklich, Isa!«
Isabelle drehte sich auf den Bauch und stützte das Kinn in die Hand. Sie sah Madeleine an und setzte ein spitzbübisches Lächeln auf.
»Spiel doch nicht das Unschuldslamm. Ich bin nur zwei Jahre jünger als du. In meinem Alter warst du praktisch schon verlobt. Außerdem, wenn du es mir nicht erzählst, wer soll es sonst tun? Meine Mutter würde lieber zur Hölle fahren, als mit mir über dieses Thema zu sprechen. Mein Vater wird ganz bestimmt nicht davon anfangen, und meine liebe Amme ebenfalls nicht. Ich bin zwanzig, Mado! Vielleicht werde ich bald heiraten, und ich habe keine Ahnung davon, was mich erwartet …«
»Darum geht es gar nicht…«, unterbrach sie Madeleine besorgt. »Hat dein des Méloizes dich etwa… berührt?«
Isabelle lächelte träumerisch. Madeleine wurde immer nervöser.
»Ihr habt doch wenigstens nichts Unmoralisches getan, oder, Isabelle?«
»Unmoralisch? Er hat mich geküsst … Ist das schon unmoralisch?«
Madeleine tat, als müsse sie überlegen.
»Wahrscheinlich nicht… Wenn es ein keuscher Kuss war.«
»Was verstehst du darunter?«
»Nun, wenn eure Gedanken und eure Hände …«
»Was die Hände angeht, Mado, so haben sie die Grenzen der Schicklichkeit geachtet«, erklärte sie nicht ganz wahrheitsgemäß und errötete. »Aber meine Gedanken… da muss ich mich wohl schuldig bekennen.«
Wieder lachten sie leise.
»Ich habe mich nur gefragt… Ah, Mado … ob die Liebe wirklich so wunderbar ist, wie Voltaire sie beschreibt? Die Gefühle bringen das Herz zum Pochen, aber die Leidenschaft, die Küsse … Wenn Nicolas mich aus seinen dunklen Augen ansieht, werde ich ganz schlaff und willenlos wie eine Stoffpuppe … Sag es mir, Mado, erzähl mir alles!«
Madeleine drehte sich auf die Seite und sah ihre Cousine nachdenklich an. Dann breitete sich ein leises Lächeln über ihre Lippen. Sie schob eine Haarsträhne zurück, die Isabelle ins Gesicht hing, und steckte sie hinter ihrem Ohr fest.
»Das erste Mal mit einem Mann… ist… eher enttäuschend.«
Reglos und schweigend wartete Isabelle gespannt darauf, dass sie weitersprach.
»Ich glaube, dass die Männer nicht die gleichen Erwartungen hegen wie wir.«
»Was meinst du damit?«
»Ich kenne mich damit auch nicht so gut aus, Isa … Aber ich glaube, sie drängt es mehr, der Liebe in der Sprache des Körpers Ausdruck zu verleihen, während wir
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