Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
bekannt gemacht hatte, dass die englische Armee in die Stadt einziehen würde, hatten sich Menschen entlang des Chemin Saint-Louis versammelt. Von den Ruinen einst prachtvoller Gebäude stieg Geschrei auf.
Isabelle hielt Madeleines Hand fest. Den beiden jungen Frauen gab es einen Stich ins Herz, die lange Prozession roter Uniformen anzusehen, die in ihre Stadt eindrangen. Brigadier Townshend ritt an ihnen vorbei. Eine von heftigen Gefühlsaufwallungen erfüllte Stille trat ein, als man begann, die französische Fahne einzuholen.
»Verfluchte Engländer!«, zischte Madeleine mit zusammengebissenen Zähnen. »Sie bekommen nichts als Ruinen. Außerdem gehört, soweit ich weiß, die Kolonie immer noch dem König von Frankreich!«
Isabelle wollte ihr schon zustimmen, als eine Abteilung Highlander vor ihr vorüberzog. Sie erkannte den eleganten Offizier, der mit ihr gesprochen hatte. Der Mann sah sie, neigte das Haupt und lächelte ihr zu. Sie musste an den Soldaten denken, der Ti’Paul das Leben gerettet hatte, und sah sich unter dem Regiment um, das ihm folgte, doch sie entdeckte ihn nicht. Sie hatte ihn seit dem Tag, an dem sie ihm seinen Dolch wiedergegeben hatte, nicht mehr besucht. Als ihr Vater Wind von ihren verbotenen Ausflügen bekommen hatte, da hatte er sich in einen solchen Zorn gesteigert, dass sie nicht gewagt hatte, noch einmal zum Hospital zu fahren. Wie auch immer, sie hatte dem Mann gedankt, wie es sich gehörte, und hatte sich daher nichts vorzuwerfen. Die Schwestern verstanden sich ausgezeichnet auf ihre Arbeit und bedurften ihrer Hilfe nicht unbedingt. Und außerdem würde es Nicolas sicherlich nicht zu schätzen wissen, wenn sie einem verletzten Gegner so viel Fürsorge erwies.
Eine Artilleriesalve ließ sie zusammenfahren. Über der Stadt wurde die englische Flagge aufgezogen. Zerstreut sah die junge Frau zu, wie der Union Jack im Wind knatterte. Um die Wahrheit zu sagen war sie erleichtert gewesen, nicht wieder ins Krankenhaus gehen zu müssen. Die ekelhaften Gerüche, die schrecklichen Verwundungen, die Toten, die ständig herausgetragen und in Massengräber geworfen wurden… All das hatte sie zutiefst erschüttert.
Eine neue Salve riss sie aus ihren Gedanken. Die französische Garnison legte die Waffen nieder, und die Rotröcke nahmen ihren Platz ein. Die Trommeln dröhnten, die Querpfeifen erklangen, und die Dudelsäcke jaulten: Die Engländer spielten ihnen ein trauriges Te Deum . Zornig zerdrückte Isabelle mit dem Handrücken eine dicke Träne, die ihr über die Wange rann. Was sollte nur aus ihnen werden? Und was war mit Nicolas, von dem sie zu ihrer Verzweiflung immer noch keine Nachricht hatte? Und ihren Brüdern, die zusammen mit den anderen geflohen waren? Im Grund ihres Herzens war ihr klar, dass die Kapitulation nicht so einfach akzeptiert würde. Ihre Truppen würden zurückschlagen, und erneut würde Blut fließen. Doch merkwürdigerweise ertappte sie sich bei der Hoffnung, dass die französische Armee den Eroberer nicht erneut in Kämpfe verwickeln würde.
»Damit ist es nicht zu Ende«, murrte Madeleine, die offensichtlich das Gleiche dachte, ohne jedoch dieselben Schlussfolgerungen zu ziehen. »Mein Julien und die anderen werden uns retten, du wirst schon sehen, Isabelle. Dein wunderbarer des Méloizes wird sich mit Ruhm überhäufen, und dann kannst du ihn heiraten. Das wird eine große Hochzeit …«
Isabelle gab ihr keine Antwort. Sie wusste nicht mehr so recht, woran sie mit Nicolas war. Sie hatte auf einen Brief, eine Nachricht gewartet, denn sie wünschte sich, er würde sie seiner Gefühle für sie versichern, den Gerüchten entgegentreten. Vielleicht würde sie ihm seinen Fehltritt vergeben können, wenn er… Oft wünschte sie, er würde einfach aus dem Nichts heraus auftauchen und sie mit sich fortnehmen. Aber fast sofort zögerte sie bei dem Gedanken, ihre Heimat zu verlassen. Wenn Québec in den Händen der Engländer blieb, war es möglich, dass Nicolas ins französische Exil gehen musste. Wollte sie ihm dann wirklich folgen?
Die Menge kam in Bewegung, und sie wurde angestoßen. Madeleine hielt sie energisch fest und zog sie hinter sich her. Ramezay suchte seine Wohnung auf, die er erst wieder verlassen würde, um sich nach Frankreich einzuschiffen. Die Gesichter, denen Isabelle begegnete, wirkten verhungert. Viele streckten die Arme nach den Eroberern aus und flehten um einen Bissen Brot.
»Lass uns kurz in die Kirche gehen«, bat die junge
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