Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Aufmerksamkeit zu erwecken, vermutete Alexander. Sie lächelte und musterte ihn unverhüllt. Dann setzte sie eine verführerische Miene auf und verzog die Lippen zu einem sinnlichen Schmollmund. Sanft legte sie ihre kühlen Hände auf Alexanders nackten Oberkörper und sah ihn aus ihren veilchenfarbenen Augen eindringlich an.
»Eigenartig, wie ähnlich Ihr Eurem Bruder seht… Das bringt mich ganz durcheinander.«
»Liebt Ihr ihn?«
»Er liebt die Wälder, genau wie mein verstorbener Mann. Aber ich will keine Liebe mehr, die mich dazu verurteilt, monatelang darauf zu warten, dass mein Mann heimkehrt. Das bringt mich um.«
»Gibt es denn eine Liebe, die einen nicht umbringt, Madame?«
Marie-Anne hörte die Verbitterung, die in Alexanders Stimme schwang, und sagte nichts. Was dieser Mann auch erlebt hatte, er hatte eine schrecklich traurige Lehre daraus gezogen. Lieber wechselte sie das Thema.
»Und was habt Ihr jetzt vor?«
»Ich werde morgen nach Québec zurückkehren.«
»Aber Ihr seid desertiert! Sie werden Euch…«
»Aufhängen? Ich bin kein Deserteur.«
»Darauf werden Eure Vorgesetzten nichts geben.«
Alexander sah auf die Hände der jungen Frau hinunter, die auf seiner Brust lagen, und überlegte einen Moment. Er hatte seine Chancen abgewogen, bei einem Prozess freigesprochen zu werden. Doch je mehr Tage vergingen, umso unwahrscheinlicher erschien ihm diese Aussicht.
»Dieses Risiko muss ich eingehen. Ich bin nicht desertiert. Wenn ich mich freiwillig stelle, wird man vielleicht ein milderes Urteil verhängen und mich einfach nur auspeitschen lassen…«
»Ihr könntet hierbleiben. Jean kehrt im Frühling zurück …«
»Auf gar keinen Fall! Ich … verzeiht. Nein, ich habe dort noch einen anderen Bruder. Ich muss ihn wiedersehen und ihm alles erklären, versteht Ihr? Er soll nicht glauben, dass ich …«
Stirnrunzelnd nickte sie. Die Wahrheit war, dass sie nicht die Hälfte von dem, was er sagte, verstand.
»Habt Ihr dort auch eine Liebste zurückgelassen?«
Er zögerte kurz, während er die Motive auf der Steppdecke betrachtete, die über der unteren Hälfte seines Körpers lag.
»Nein.«
»Keine Liebste?«, murmelte sie wehmütig und musterte Alexanders düstere Miene.
Seiner negativen Antwort zum Trotz spürte die junge Frau, dass unter ihren Händen ein gequältes Herz schlug. Sie ließ die Finger in das weiche Vlies auf seinem Brustkorb gleiten und riss ihn so aus seinen Gedanken. Er hob ihr sein Gesicht entgegen, diese Züge, die ihr so vertraut waren und die sie erst in einigen Monaten wiedersehen würde.
»Und ich habe keinen Liebsten mehr …«
Sie fuhr mit den Fingerspitzen über sein Schlüsselbein und zog es bis zur Schulter nach. Alexander war erschüttert: Isabelle hatte genau das Gleiche getan. Er konnte sich des Bildes nicht erwehren, das vor seinem inneren Auge stand: die junge Frau in den Armen dieses Mannes, der ihn vor dem Haus in der Rue Saint-Jean angestoßen hatte. Ein Notar von gesichertem Wohlstand, dessen Name bekannt und geachtet war und der einen beneidenswerten Platz in dieser verfluchten Gesellschaft hatte … Zorn ergriff ihn und wirbelte allen Groll auf, der ihm das Leben sauer machte. Mit einer schroffen Bewegung stieß er die leichte Hand weg, die auf seiner Schulter lag. Verblüfft schlug Anne-Marie die Augen zu ihm auf.
»Oh!«, meinte sie errötend. »Ich dachte…«
Sie nahm die Hand weg, doch Alexander, der gegen seinen Willen erregt war, hielt sie energisch fest.
»Ich bin nicht John.«
»Einverstanden. Und ich bin nicht… diese andere Frau.«
Nachdem sie das klargestellt hatten, maßen sie sich mit ihren Blicken. Dann, von einem Moment auf den anderen, trafen sich ihre Lippen. Sie liebten sich heftig und dann wieder voller Zärtlichkeit, jeder in seinen eigenen Abgrund versunken, beide in dem Versuch, in ihrem Gegenüber den Menschen zu sehen, der ihnen fehlte, und Empfindungen noch einmal zu erleben, die ihre Haut und ihre Körper in ihrer Erinnerung bewahrt hatten. Wie in einem Traum ließen sie das Vergangene wiederauferstehen; doch obwohl sie die Augen geschlossen hielten, war ihnen schmerzhaft klar, dass sie einander höchstens einen flüchtigen Trost spenden konnten.
Munro kam die Rue des Pauvres heruntergerannt und bog um die Ecke der Rue Saint-Nicolas, wobei er fast auf einer zugefrorenen Pfütze ausrutschte. Er erblickte seinen Cousin Coll und wedelte mit den Armen, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Als Coll
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