Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
ein markerschütternder Schrei. Sekunden später lag der Mann mit dem Gesicht im Schlamm am Boden, so wie Alexander gerade eben noch. Letzterer erkannte gerade noch, dass sich eine Silhouette über ihn beugte und einen Dolch aus seinem Körper zog. Schon hatte eine zweite Gestalt Wemikwanit gepackt, der vor Verblüffung einen Moment lang reglos dagestanden hatte. Mondlicht blitzte auf dem Stahl einer Klinge auf, die dem Chippewa die Kehle durchschnitt. Ein Pfeifen entwich aus der klaffenden Wunde. Seine weit aufgerissenen pechschwarzen Augen wurden starr. Sein Körper schlug dumpf auf dem Boden auf. Keuchend, die blutige Waffe in der Hand, stand Nonyacha da und sah hasserfüllt auf den Chippewa hinunter, dessen Leiche Mathias Makons auf den Rücken wälzte.
»Wenn die Sonne aufgeht, werden die Raben sich an ihm gütlich tun.«
Der Hurone bemerkte Alexanders verdatterte Miene und klärte ihn auf.
»Ich bin dir gefolgt, Macdonald. Ich hatte im Dunkeln auf dich gewartet. Als du dem Chippewa begegnet bist, wollte ich gerade auf dich zugehen. Ich war neugierig, daher habe ich mich nicht gezeigt, sondern eurem Gespräch gelauscht. Auf keinen Fall konnte ich zulassen, dass dieser Wahnsinnige unsere Völker in den Tod führt…«
Düsteren Blickes atmete er schwer, und die Klinge bebte in seiner Hand.
»Außerdem war ich in Sorge um Tsorihias Sicherheit. Ich musste wissen, auf welcher Seite du wirklich stehst.«
Er wollte sich entfernen, doch Alexander griff nach seinem Arm und hielt ihn zurück.
»Dann … weißt du alles?«
»Über das Gold? Jetzt ja.«
Nonyacha schwieg einen Moment lang und sah den weißen Mann argwöhnisch an.
»Dieses Gold gehört uns nicht. Es macht die Menschen verrückt. Ich will es nicht haben. Aber du …«
»Ich ebenfalls nicht«, bekräftigte Alexander ohne zu zögern.
»Dann lassen wir es, wo es jetzt ist. Und nun müssen wir fort. Ich habe keine Ahnung, auf welcher Seite Langlade wirklich steht und lege keinen besonderen Wert darauf, es herauszufinden. Da wir auch nicht wissen, wer hier noch die Wahrheit über dich kennt, Schotte, können wir nicht länger bleiben. Diese Leichen sollten wir allerdings besser in den Fluss werfen. Dann lasse ich die Kanus zu Wasser, während ihr beide Tsorihia holen geht und Proviant packt.«
Verschmitzt grinsend reichte der Hurone Alexander eine Brown Bess.
»Dieses Gewehr hat dir am besten gefallen, und du wirst es brauchen. Ich habe Janisse an eine alte Schuld erinnert, die er meinem Vater nie zurückgezahlt hat. Wir gehen nach Norden: Dort sind die Jagdgründe gut.«
Der Sommer verging, und der Herbst kam. Dann näherte sich der Winter. Sie hatten viel gejagt und begaben sich jetzt zum Handelsstützpunkt von Fort Michillimackinac. Für die ausgezeichneten Felle, die Tsorihia zugerichtet hatte, konnten sie fünf Hunde und einen Schlitten einhandeln sowie eine große Menge an Waren, mit deren Hilfe sie die kalte Jahreszeit besser überstehen würden. Nonyacha wollte sich nicht allzu lange in der Nähe des Forts aufhalten und schlug den anderen vor, in den Osten zu gehen und sich an den Ufern des Oberen Sees einzurichten. Also brachen sie auf und ließen sich an der Spitze des Sees in Hütten aus Baumrinde nieder, die der Schnee bald bedeckte.
Die Zeit verging in einem Nebel, in den sich Alexander ebenso stürzte wie in die Wälder, in denen er sich verausgabte. Einmal jagte er, dann wieder widmete er sich anderen Tätigkeiten, die zu ihrem Überleben und ihrer Bequemlichkeit beitrugen. Er bemerkte kaum, wie die Tage verstrichen. Wenn der Abend kam, warf er sich vollständig erschöpft auf sein Lager aus Tannenzweigen. Entweder sank er sofort in einen tiefen Schlummer, oder er sah zu, wie Tsorihia sich beim Flechten von Schneeschuhen und dem Fertigen von Wintermokassins die Augen verdarb. Damit ihnen die Füße nicht kalt wurden, nähte die junge Frau ein Futter hinein, das sie aus alten Wolldecken ausschnitt und mit Gänsedaunen ausstopfte. Mit ihren hübsch mit Stachelschweinborsten geschmückten Beinlingen, den neu gekauften Hemden, gefütterten Lederjacken und tapabords 44 aus nach innen gewendetem Biberfell konnten sie dem Winter die Stirn bieten.
Im Sommer und Herbst war ihre Ernährung sehr vielfältig gewesen: Schildkröten, Schnecken, Frösche und Vogeleier, dazu reichlich frisches Fleisch. Im Winter bestand sie aus Fisch, den sie durch ein Loch im Eis fingen, den Tieren, die sie töten konnten, den gekauften Nahrungsmitteln und
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