Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
zwei, drei? Sie hatten in der Dunkelheit, die sie umgab, kein Zeitgefühl.
»Herrgott!«, stöhnte Alexander und lehnte sich an die eisige Wand, um wieder zu Atem zu kommen. »Kann es sein, dass sich über uns mehr als ein Klafter Schnee befindet?«
Ohne mit dem Graben aufzuhören, lachte Mathias.
»Ich habe schon zwei Klafter Schnee auf einer Hütte gesehen, mein Freund! Ich schlage vor, du gräbst weiter!«
»God damn! Was für ein scheußlicher Winter!«
»Gibt es so etwas in deinem Land nicht?«
»Das Wetter ist oft schlecht, aber so hart ist das Klima bei uns nicht! Übermaß kennen wir nur in unseren Taten!«, gab der Schotte zurück und machte sich wieder an die Arbeit.
»Warum bist du dann nach Amerika gekommen?«
»Die Armee …«
»Hmmm … Möchtest du irgendwann nach Hause zurückkehren ?«
Ein großer Brocken Schnee löste sich. Alexander zermalmte ihn mit dem Knie. Er konnte das Gesicht des Huronen, der aufgehört hatte, sich zu bewegen, nicht erkennen.
»Nein… Für mich gibt es dort nichts mehr.«
»Durch dein Geheimnis könntest du dir ein Landgut kaufen, vielleicht sogar mehr …«
Alexander krallte die Finger in ein Stück Eis und verletzte sich die Spitze des Zeigefingers.
»Vielleicht… Aber in meinem Land kann man den Frieden nicht kaufen, ebenso wenig wie in deinem. Der Mensch trägt einen Machthunger in sich, der ihn oft zu den schlimmsten Schändlichkeiten anstiftet und unvermeidlich in den Krieg führt, um den anderen zu unterwerfen.«
Der Eisblock löste sich plötzlich, fiel auf den Hund, der um ihn herumstrich, und entlockte ihm ein schrilles Jaulen.
»Entschuldigung«, murmelte Alexander und streichelte dem Tier den Kopf.
»In deinem Land gibt es also viele Kriege …«
Der Schotte hatte keine Lust, von den Schlachten zu sprechen, an denen er während Prince Charlies Feldzug teilgenommen hatte. Die Bilder, die dann in seiner Erinnerung aufstiegen, gingen ihm anschließend tagelang nicht mehr aus dem Kopf, vor allem das von seinem Bruder John, wie er auf ihn anlegte.
»Wenn man so will«, brummte er und holte tief Luft. »Aber ist der Krieg nicht das Los aller Völker? Gewisse Menschen denken nur an ihren Ruhm und ihr Glück. Deswegen sind so viele meiner Landsleute in die Armee eingetreten. Die Engländer haben uns das Leben in Schottland vergällt … Wahrscheinlich sind sie jetzt froh darüber.«
»Du liebst den Krieg nicht, Macdonald? Dabei bist du doch Soldat und …«
Alexander unterbrach seine Arbeit und wandte sein Gesicht der Stelle zu, wo sich, wie er wusste, sein Kamerad befand.
»Und du?«
Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern sprach gleich weiter.
»Ich bin Highlander, Mathias. Genau wie bei dir fließt in meinen Adern das Blut eines Kriegers. Wenn bei uns ein Kind in der Lage ist, eine Waffe zu halten, lehrt sein Vater es die Anfangsgründe des Kampfes. Das ist eine Frage des Überlebens. Ich habe in meinem Leben so viele Menschen getötet, dass ich aufgehört habe, sie zu zählen. Ohnehin schreibt Gott sie in seinem großen Buch auf… Und trotzdem sage ich dir: Nein, ich liebe den Krieg nicht, ebenso, wie ich alles verabscheue, was mit Macht zu tun hat und was unsere Welt zu dieser Hölle macht.«
Erneut senkte sich erstickendes Schweigen über ihre eisige Gefängniszelle. Doch merkwürdigerweise spürte Alexander, wie eine Last von ihm genommen wurde. Mit einem Mal spürte er das Bedürfnis, dem Huronen alles zu erzählen, denn inzwischen vertraute er ihm. Und so sprach er eine Stunde lang von seinen Unterhaltungen mit van der Meer und dem Versprechen, das er ihm gegeben hatte. Er schilderte ihm den schrecklichen Überfall durch Wemikwanit und Étienne Lacroix, seine Entführung durch die Tsonnontouan und den Foltertod des Revenant. Mathias lauschte ihm aufmerksam. Manchmal lehnte er an der Wand, dann wieder löste er ihn beim Graben ab, wenn er müde wurde. Da der Schotte sich einmal in Rage geredet hatte, sprach er auch über seine Kindheit und seine Erlebnisse nach Culloden. Noch nie hatte er sich jemandem so vollständig offenbart.
Schließlich verstummte Alexander und schwieg lange. Er lehnte die Stirn an den rauen Baumstamm. Der Geruch der Rinde stieg ihm in die Nase und überdeckte kurz den Gestank ihres Urins und des Hundekots, der das wenige an Luft, das sie noch hatten, verpestete. Gefangen unter dieser Schneedecke sagte er sich, wenn er schon hier sterben müsste, dann würde er es wenigstens leichten Herzens tun. Die Luft
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