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Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Titel: Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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einer langen Reihe von Beileidsbesuchen vergangen. Der letzte Gast hatte erst vor einer Stunde das Haus verlassen. Isabelle schloss die Tür hinter Jacques Guillot, der darauf bestanden hatte, noch ein wenig zu bleiben, um ihr Gesellschaft zu leisten. Endlich konnte sie einen Moment durchatmen. Gabriel wartete in seinem Bett darauf, dass sie ihn zudeckte. Mühsam stieg sie die Treppe hinauf und spürte plötzlich die schwere Last, die auf ihren Schultern lag.
    Ihr Sohn, der sich unter seinen Decken zusammengerollt hatte, kam ihr so verletzlich vor. Erneut sah sie sein Gesicht vor sich, als er den Salon betreten und Pierre gesehen hatte, der dort in seinem besten Anzug aufgebahrt lag.
     
    »Wa’um schläft Papa im Salon, Mama?«
    Isabelle bespritzte den Leichnam mittels eines Tannenzweigs mit Weihwasser, wie es Brauch war.
    In ihrer Nähe beteten Marie und zwei Besucherinnen monoton murmelnd den Rosenkranz.
    »Papa schläft nicht, Gaby. Er wartet auf die Engel.«
    »Die Engel? Abe’ die wohnen doch im Himmel!«
    »Ja, sie wohnen im Himmel, und dein Papa wird mit ihnen gehen.«
    Gabriel musterte seinen Vater, der auf den mit einem schwarzen Tuch bedeckten Brettern bestimmt unbequem lag, zog die Augen zusammen und runzelte nachdenklich die Stirn.
    »Wie lange bleibt Papa bei den Engeln?«
    Isabelle biss sich auf die Lippen und verfluchte das Schicksal, weil es ihr eine so grausame Prüfung aufbürdete. Sie atmete tief durch, um sich Mut zu machen.
    »Für alle Ewigkeit, mein kleiner Mann.«
    »Alle Ewigkeit … wie lange ist das?«
    »Die Ewigkeit, das bedeutet für immer, Gabriel. Dein Vater wird nicht zurückkommen. Wenn man mit den Engeln in den Himmel aufsteigt, dann bleibt man dort. Verstehst du das?«
    »So wie meine Cha’lotte?«
    »Genau wie Charlotte.«
    Aus seinen saphirblauen Augen sah er sie ernst an. Der ungewöhnliche Schnitt seiner Lippen trat stärker hervor, und sein Kinn begann zu zittern. Gabriel nickte und schlug dann die Augen nieder, um die Gefühle, die ihn aufwühlten, zu verbergen. Charlotte, seine Katze, war im letzten Sommer von einem Karren, der am Haus vorbeifuhr, überfahren worden. An diesem Tag hatte Isabelle sich gefragt, ob eigentlich allen Charlottes der Welt das gleiche Ende vorbestimmt war. Der kleine Junge, der seiner Katze nachgelaufen war, hatte die Tragödie ohnmächtig mit angesehen. Seitdem wusste er, was es hieß, »bei den Engeln« zu sein, denn Charlotte war nie mehr zurückgekommen, um in seinem Bett zu schlafen.
     
    Isabelle glaubte, ihr Sohn sei eingeschlafen, trat ein und näherte sich auf Zehenspitzen seinem Bett. Gabriel hörte sie und drehte sich um. Er weinte nicht, aber in seinen geröteten Augen stand sein tiefer Schmerz zu lesen. Sie setzte sich auf seine Bettkante, streichelte ihm die Stirn und strich eine seiner schönen roten Locken zurück.
    »Mama, muss Papa in den Himmel, weil ich böse gewesen bin?«
    Einen Moment lang war Isabelle sprachlos.
    »Aber nein, mein Schatz! Wie kommst du denn darauf?«
    »Na ja … ich hab’ geste’n viele Dummheiten gemacht. Gott best’aft doch böse Kinde’. Bestimmt hat de’ liebe Gott die Engel zu Papa geschickt… um mich zu best’afen.«
    Gabriels Augen füllten sich mit Tränen. So viel Schmerz und kindliche Unschuld erschütterten Isabelle zutiefst, und sie drückte ihren Sohn ganz fest an sich.
    »Nein, mein Schatz, nein. Ich versichere dir, dass es nicht deine Schuld ist. Das war ein Unfall, ein dummer Zufall. Gott bestraft keine Kinder, indem er ihnen den Papa wegnimmt. Die Kinder sind für ihn nämlich seine Lehrlinge, die den Unterschied zwischen Gut und Böse noch nicht so genau kennen. Gott bestraft nur die großen Leute, weil die Bescheid wissen.«
    Isabelle blieb bei Gabriel, bis er sich beruhigte und einschlief. Dann ging sie hinunter und flüchtete sich in Pierres Arbeitszimmer. Sie schenkte sich ein Glas Cognac ein; das brauchte sie, bevor sie ins Bett ging.
     
    Alexander wartete etliche lange Minuten, bis er aus dem Schatten trat. Der letzte Besucher war gegangen. Isabelle hatte noch eine Weile mit ihm auf der Türschwelle gestanden. Der Mann hatte ihre Hände gehalten und sie dann an die Lippen gezogen und geküsst. Es hätte nur wenig gefehlt, damit Alexander den Rückzug antrat. Dieser Besucher war nicht einfach ein Bekannter ; das sprang einem ins Auge. Ob Isabelle einen Liebhaber hatte? Das würde natürlich alles ändern.
    Munros Warnungen zum Trotz war er fest entschlossen, diesen

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