Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Bruder John bestimmt, der in Kanada, irgendwo in der Nähe von La Batiscan, leben soll. Wenn er unauffindbar bleibt, sollen die Gegenstände nach Schottland geschickt werden. Euch hinterlässt er einen Brief… Nirgendwo steht etwas darüber, was mit diesem Dolch geschehen soll.«
Isabelle spürte, wie ihr bei dem Gedanken an Alexander das Herz schwer vor Kummer wurde. Sie war überzeugt gewesen, dass Pierre sich des Dolchs entledigt hatte. Warum hatte er ihn aufbewahrt? Wieso hatte er ihn in dieses Geheimfach gelegt? Der Anblick dieser Gegenstände ließ Erinnerungen aufsteigen und erschütterte sie noch einmal. Wieder sah sie den flehenden Blick der saphirblauen Augen. Alexander hatte gesagt, er werde im Juli wiederkommen … Heute war der 29. Juni.
»Darf ich Euch fragen, wer dieser Mann ist, Madame?«
Sie sah in Jacques Guillots gequälte Miene und erriet den Grund für seine Anspannung. Wahrscheinlich war sie es ihm schuldig, die Wahrheit zu sagen.
»Er ist der Vater meines Sohnes.«
Zunächst reagierte der junge Notar nicht und ließ keinerlei Emotion erkennen. Doch nach und nach drang das, was sie gesagt hatte, in seinen Verstand ein. Auf seinen Zügen malte sich zuerst Unglauben, und dann verzog er entsetzt das Gesicht. Ein Keuchen stieg aus seiner Kehle auf, während er sich schwer in den Sessel fallen ließ.
»Gabriels Vater?«
Jacques Guillot hatte immer leise Zweifel daran gehegt, dass Pierre tatsächlich Gabriels Vater sein sollte. Aber trotzdem war er wie vor den Kopf geschlagen. Dann hatte Isabelle Larue also einen Liebhaber gehabt… oder sie war missbraucht worden… Dieser Schotte war bestimmt Soldat gewesen, und jeder wusste, wie sich Soldaten in Kriegszeiten aufführten … War er selbst nicht Zeuge einer Vergewaltigung geworden, als er kurz nach der Kapitulation von Montréal durch eine dunkle Gasse gegangen war? Isabelle, vergewaltigt? Er spürte eine dumpfe Wut in sich aufsteigen und biss die Zähne zusammen, um sie zu bezähmen.
»Aber… dieser Mann … hat er Euch … ich meine …«
»Ich habe diesen Mann geliebt. Gabriel ist die Frucht dieser Liebe, deren Erfüllung man mir verweigert hat.«
Wie lange diese Geschichte wohl her sein mochte? Der Notar rieb sich die Augen und versuchte sich an das Datum ihrer Hochzeit zu erinnern. Andererseits, was interessierte ihn das? Pierre hatte zweifellos Gründe gehabt, aus denen er bereit gewesen war, das Kind eines anderen Mannes großzuziehen.
»Aha. Und Pierre …«
Er verstummte, weil er nicht wusste, was er sagen sollte und sie nicht verschrecken wollte. Eindringlich, ohne sich zu rühren, sah er sie an.
»Pierre wusste vor der Hochzeit, dass ich ein Kind erwartete«, erklärte Isabelle, die ihm nicht alles erzählen wollte. »Er war … steril, versteht Ihr? Aber … das habt Ihr doch gewusst, oder? Ich meine… dass Pierre nicht der leibliche Vater meines Sohnes war?«
»Nun ja … ich muss gestehen, dass ich den Verdacht hatte.«
»Ich weiß genau, was hinter meinem Rücken erzählt wird. Für viele Menschen ist Gabriel ein … Bastard. Aber mir ist im Grunde gleich, was andere denken. Das Wichtigste für mich war, dass Pierre meinem kleinen Jungen tiefe Zuneigung entgegenbrachte. Mein Sohn kennt die Wahrheit nicht. Es erschüttert mich, wenn Gabriel mir ganz traurig erzählt, welch verletzende Dinge die anderen Kinder zu ihm sagen. Was kann ich dagegen unternehmen? Sie sagen ja nur die Bosheiten der Erwachsenen nach. Deswegen denke ich ernstlich darüber nach, Montréal zu verlassen und nach Beaumont zu ziehen. Dort weiß niemand etwas davon, und er hätte bessere Aussichten, Freunde zu finden …«
Jacques Guillot streckte den Arm aus und legte Isabelle eine Hand auf die Schulter. Am liebsten hätte er diese Frau in die Arme geschlossen, und er träumte davon, wie er sie küssen würde, um sie zu trösten.
»Aber… Wenn Ihr diesen Mann so geliebt habt, warum habt Ihr dann Pierre geheiratet?«
Aufgewühlt schloss Isabelle die Augen, um die Tränen zurückzuhalten. Sie stützte sich auf den Schreibtisch, atmete tief durch und sah dann zu dem Notar auf. Sie wollte nicht, dass er ein Urteil über sie fällte, ohne die Wahrheit zu kennen. Sie begann ihre Geschichte damit, dass sie ihm von den ersten Tagen der Besetzung Québecs durch Murrays Truppen erzählte. Anschließend umriss sie die wichtigsten Ereignisse, wobei sie hier etwas abkürzte und dort etwas wegließ. Das, was sie nicht aussprach, verriet ihm mehr als
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