Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
fort. Ich habe die Verletzungen… an deinen Beinen gesehen, aber ich weiß nicht, woher sie stammen. Ich sehe auch, wie bedrückt du manchmal dreinschaust. Du kannst mir natürlich erzählen, der Tag sei hart gewesen, und du wärest müde. Aber ich weiß, dass dahinter noch vieles andere steckt. Deine Augen lügen nicht, Alex.«
»Soll ich dir etwa meine traurige Lebensgeschichte erzählen, Isabelle? Was könnte dich schon an meiner jämmerlichen Vergangenheit interessieren?«
»Alles, Herrgott! Das Leben eines Paares findet nicht nur im Bett statt! Du bist mir ein Buch mit sieben Siegeln, Alex! Hast du denn kein Vertrauen zu mir? Ich möchte dich besser verstehen, dir helfen. Ich verlange doch nur, den Mann, mit dem ich mein Bett und mein Leben teilen werde, besser zu kennen. Ist das denn so schwer zu verstehen?«
»Früher warst du nicht so prinzipientreu!«
»Da war alles anders …«
»Soweit ich weiß, kanntest du auch Pierre Larue nicht, als du ihn geheiratet hast! Hast du ihn ebenfalls einem Verhör unterzogen, ehe du ihn in dein Bett gelassen hast?«
Isabelles Atem ging schneller. Die Dunkelheit schien dichter, erstickender zu werden. Alexander schloss die Augen, ballte die Fäuste und verfluchte sich für seine Dummheit.
»Entschuldige«, murmelte er kurz darauf. »Verzeih mir. Das ist mir so herausgerutscht.«
Sie rührte sich nicht. Obwohl er fürchtete, sie könne flüchten, berührte er sie behutsam. Irgendwo, tief in den Wäldern, rief eine Eule. Isabelle erschauerte. Erschüttert umfasste er ihre Schultern und zog sie an sich wie eine sehr zerbrechliche Blume. Da begann sie in seinen Armen zu zittern.
»Isabelle, I’m sae sorry … Ich wollte nicht …«
Sie brach in Tränen aus, zappelte und versuchte zu schlagen und zu kratzen. Doch er fasste ihre Handgelenke und hielt sie auf dem Boden fest, damit sie sich nicht bewegen konnte.
»Cum air do làimh! « Hör auf damit… »Stop it! «
Die Wirkung trat augenblicklich ein: Sie weinte noch, gab aber jeden Widerstand auf.
»W … willst du mir das … jetzt mein ganzes … Leben lang vorwerfen?«
»Nein, nein… mein Gott, nein!«
»Du wirst damit leben müssen, Alex.«
»Ich weiß. Aber das ist manchmal so schwierig. Ich brauche noch Zeit dazu.«
Ja, er würde damit leben müssen, und genau das war sein Problem. Es stand ihm nicht zu, Isabelle Vorwürfe zu machen; genau, wie es nicht anging, dass er sie verantwortlich für die unverzeihlichen Taten ihres Mannes und ihres Bruders machte. Sie hatte recht. Das ging alles nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Wie oft hatte er von diesem Augenblick geträumt, davon, sie so in den Armen zu halten? Doch die Fantasie ist nicht die Wirklichkeit; sie ist nur das Abbild eines Wunsches. Die Vergangenheit war die größte Hürde zwischen ihnen. Das Leben und die Ereignisse hatten sie beide verändert, und sie mussten sich einander von neuem annähern. Von vorne beginnen…
Alexander hörte Isabelle leise weinen. Er vergrub das Gesicht in ihrem Haar und spürte, wie ihr Duft ihn tröstete. Der Groll, den er so viele Jahre in sich getragen hatte, verflog. Nach einer Weile beruhigte sich seine Gefährtin. Gabriels Stimme, der nach seiner Mutter rief, übertönte das Zirpen der Grillen. Wieder rief die Eule, und ihr Sohn ahmte sie nach. Unwillkürlich lächelten beide.
13
Sag mir, wer du bist, und ich sage dir, ob ich dich liebe
Das Wetter war herrlich. Am unendlichen azurblauen Himmel zogen gemächlich kleine Schäfchenwolken dahin, und eine strahlende Sonne schien wärmend auf die Natur herunter. Heute Morgen waren die Männer zur Jagd aufgebrochen, und Isabelle beschloss, Beeren sammeln zu gehen. Sie hängte sich den Henkel ihres Korbs, in den sie einen Imbiss gepackt hatte, über den Arm und rief Marie und die Kinder. Im Vorübergehen begrüßte sie Mikwanikwe, die so hochschwanger war, dass sie nicht mehr mitgehen konnte. Die Indianerin, die das Räuchern der Felle beaufsichtigte, gestikulierte heftig und rief ihnen in ihrem gebrochenen Französisch zu:
»Nicht zu weit gehen; makwa auch essen miskominag .«
»Was ist denn ein makwa ?«, wollte Isabelle von Otemin wissen, während sie den Weg, der zum Bach führte, einschlug.
»Makwa machen grrr!«, antwortete das kleine Mädchen, indem es ein wildes Tier nachahmte. »Makwa sein Bär und lieben miskominag , genau wie wir. Himbeeren gut für alle Wesen.«
»In den Wälde’n gibt es Bä’en?«, fragte Gabriel entzückt.
»Oh
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