Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
gewartet. Er wusste, dass er mit seinen Worten zu weit gegangen war. Aber der Zorn hatte ihn überwältigt. Der Anblick seines Dolchs hatte den Verdacht bestätigt, den er schon seit einiger Zeit hegte; genauer gesagt seit jenem tragischen Tag, an dem er Pierre Larue in dem Stall gegenübergestanden hatte. Der Notar hatte derart verärgert darüber gewirkt, dass er lebte! Mit ziemlicher Sicherheit war der Mordbefehl an Étienne von ihm gekommen. Folglich musste er auch Mitglied der Liga gewesen sein und, da er sich um van der Meers Angelegenheiten kümmerte, über das Gold Bescheid gewusst haben. Mit dem Überfall durch die Irokesen hatte er geglaubt, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen!
Isabelles Duft hüllte ihn ein, und ihre Finger berührten ihn leicht an der Schulter.
»Alex … ich möchte nicht, dass wir uns darüber streiten.«
»Worüber?«
Ihm ging immer noch Étiennes abscheuliches Verbrechen im Kopf herum.
»Nun ja … über Geld. Ich wollte dich nicht verletzen… Ich …«
Er drehte sich um und sah sie argwöhnisch an. Von welchem Geld sprach sie da? Von dem Gold, hinter dem ihr Bruder und ihr Mann her gewesen waren, oder von ihrem persönlichen Vermögen? Nach langem Überlegen hatte er entschieden, Isabelle nichts über Étiennes wahre Rolle und seinen Verrat zu sagen. Er war ihr Bruder, aber sie hatte mit dieser Geschichte nichts zu tun. Außerdem, was geschehen war, war geschehen. Nichts, was er sagte oder tat, konnte den Hollandais oder die anderen zurückholen. Nichts würde die entsetzlichen Bilder von Hébert Chamards Foltertod aus seinem Gedächtnis tilgen können.
»Mach dir keine Gedanken wegen des Geldes, Isabelle. Glaubst du, ich hätte dich hergeholt, wenn ich nicht in der Lage wäre, euch beide zu unterhalten?«
»Nein… ich meine …«
Lieber würde er das Versprechen, das er van der Meer gegeben hatte, brechen, als einen einzigen Sou von Larues Geld anzurühren. Doch er hoffte, dass das nicht nötig sein würde. Was Isabelle und Gabriel brauchten, würde er sich im Schweiße seines Angesichts erarbeiten, statt Geld zu nehmen, an dem das Blut anderer Menschen klebte. Isabelles Hand umfasste sanft seine Schultern und glitt in seinen Nacken. Er erschauerte.
»Sprich mit mir, Alex. Ich weiß, dass es dich erschüttert hat, diese Gegenstände wiederzusehen, und ich möchte …«
»Ich habe wirklich keine Lust, über das, was geschehen ist, zu reden! Und erst recht nicht über Pierre Larue und dein Leben mit ihm!«, versetzte er und verschwand erneut im Dunkel.
»Warte, Alex!«
Isabelle nahm die Verfolgung auf und stolperte über die unsichtbaren Unebenheiten im Boden.
»Alex, es geht doch gar nicht um… Au!«
»Isabelle! God damn! Wo steckst du?«
»Hier.«
Die Stimme kam von unten. Ein Schritt weiter, und er wäre auf sie getreten. Er kauerte sich nieder und tastete blind nach ihr.
»Hast du dir etwas getan?«
»Schon gut, es ist nichts.«
Alexanders Herz klopfte. Einen Moment lang blieb er stumm. Mit einem Mal hatte er große Angst: Munro hatte vor drei Tagen einen Bären gesehen. Nur Mikwanikwe wusste sonst noch Bescheid. Sie sollte darauf achten, dass Isabelle und die Kinder sich nicht zu weit entfernten.
»Ich sagte doch, mir geht es gut! Ich bin in ein Loch getreten, das ist alles. Es ist nichts gebrochen.«
»Hmmm …«
Ohne etwas auf ihre Beteuerungen zu geben, wühlte er sich unter ihre Röcke, fand den fraglichen Fuß und tastete ihn vorsichtig ab. Wie durch einen Zauber fand er sich in eine Gasse in Québec zurückversetzt und fühlte den Knöchel einer koketten, errötenden jungen Frau ab, die sich angeblich verletzt hatte. Seine Finger umspannten das zarte Gelenk und fuhren dann an der Wade hinauf. Gott, wie er sie begehrte! Er hatte es gründlich satt, in Munros Zelt zu schlafen und Nacht für Nacht das Stöhnen des Paares zu hören. Das war unerquicklich für alle Beteiligten und konnte so nicht mehr lange weitergehen.
»Wir müssen reden«, murmelte Isabelle und hielt seine Hand fest, damit sie nicht höher glitt.
»Über Geld?«
»Nein. Das ist mir im Moment nicht so wichtig. Außerdem glaube ich nicht, dass dieses Thema uns hilft, einander näherzukommen. Nein, ich möchte, dass wir über dich und mich sprechen … über uns beide. Was weiß ich schon von dir, abgesehen von den Erinnerungen aus Québec und Montréal, von denen ich einige lieber vergessen möchte? Nichts. Und was weißt du von mir?«
»Was ich weiß, ist mir genug.
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