Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Bewegung, die sowohl körperlichen als auch seelischen Überdruss ausdrückte, verscheuchte er eine Mücke.
»Sie ist tot …«, erklärte er dann nach kurzem Schweigen. »Sie ist 1748 gestorben, und … ach, das ist Vergangenheit.«
»Willst du mir von ihr erzählen?«
Er schwieg und dachte an seine Mutter, die zwei Jahre auf ihn gewartet hatte. Dann hatte sie jede Hoffnung aufgegeben, ihn noch wiederzusehen, und sich dem Tod ergeben. Er konnte sich nichts als Vorwürfe machen. Die Erinnerung betrübte ihn. Nein, er wollte nicht von ihr sprechen, nicht heute Abend.
»Ein andermal vielleicht …«
Isabelle nickte und schaute über die Landschaft hinaus. Sie ahnte, dass seine Familie ein Tabuthema für Alexander war, und fragte sich, welches – möglicherweise schreckliche – Geheimnis er verbarg. Dann stand sie auf.
Alexander spürte, wie die Bank sich bewegte, doch er war so in seine Erinnerungen versunken, dass er nicht versuchte, seine Gefährtin zurückzuhalten. Als sie einige Minuten später zurückkehrte, fuhr er sich hastig mit der Hand übers Gesicht, um eine Träne wegzuwischen. Sie setzte sich wieder neben ihn und stellte ihm eine Schatulle auf den Schoß.
»Das hier gehört dir, Alex. Ich hätte es dir schon längst geben sollen, aber… ich habe auf den richtigen Moment gewartet.«
»Was ist das?«
»Mach es auf …«
In dem zunehmenden Dunkel war nur ein Teil des Inhalts zu sehen. Aber das rötliche Licht, das noch am Himmel stand, ließ die Metallgegenstände aufblitzen, und die erkannte er. Einen Moment lang schaute er gleichgültig auf seine mageren Besitztümer hinunter. Doch dann, als ihm aufging, unter welchen Umständen sein Eigentum in diese Schatulle gekommen sein musste, fühlte er Zorn in sich aufsteigen.
»Wie… wie kommt das hierher …?«
»Ich habe es zufällig entdeckt, Alex, in einem Geheimfach unter Pierres Schreibtisch. Darin befanden sich dein Testament, dein Dolch und die Uhr deines Großvaters … Dein Brief an mich, von dem in deinem Testament die Rede ist, bleibt verschwunden. Ich fürchte, Pierre …«
Alexander biss die Zähne so fest zusammen, dass sie beinahe brachen. Er nahm das von John gemalte Porträt und strich mit der Fingerspitze darüber.
»Ist das deine Mutter?«
»Ja.«
»Du siehst ihr sehr ähnlich … Warum bist du nicht nach Schottland zurückgekehrt, zu deiner Familie, Alex?«
»Ich war dreizehn, als ich von dort fortgegangen bin. Meine Mutter ist zwei Jahre darauf gestorben … Nichts zieht mich dorthin zurück.«
»Und dein Vater und Coll? Hast du mir nicht erzählt, sie seien nach dem Krieg heimgekehrt? Dabei schienst du dich doch gut mit Coll zu verstehen …«
Alexander war die Kehle wie zugeschnürt, und er konnte nicht antworten. Er legte das Porträt zurück in die Schatulle, strich über das Heft seines Dolchs und nahm die Uhr zur Hand.
»Sie geht noch. Ich habe mich davon überzeugt.«
Er nickte und steckte die Uhr in seine Gürteltasche. Seufzend nahm er dann den Beutel mit den Münzen und ließ ihn auf Isabelles Knie fallen.
»Darin müsste genug Geld sein, um in der Mission eine Ziege und ein Schwein zu kaufen.«
»Das ist doch alles, was du besitzt, Alex. Wir kommen auch ohne Schwein aus. Obwohl… wenn du wirklich gern ein Schwein zum Schlachten möchtest, könnte ich mich auch daran beteiligen …«
Als der eisige Blick der blauen Augen sie traf, unterbrach sie sich abrupt und biss sich auf die Zunge.
»Tut mir leid, Alex … Ich wollte nicht …«
»Glaub nicht, dass das hier mein einziger Besitz ist, Isabelle Larue ! Ich versichere dir, dass ich sehr wohl in der Lage bin, uns ein Mastschwein zu kaufen, ohne mich zu ruinieren, falls dir das Sorgen bereitet! Nur über meine Leiche werde ich zulassen, dass du das Geld deines Mannes ausgibst. Niemand soll mir vorwerfen, mich am Erbe einer wohlhabenden Witwe zu bereichern. Ich hoffe, das ist jetzt klar zwischen uns!«
Erschrocken sah Isabelle zu, wie Alexander aufstand, zu dem Unterstand ging, in dem sie das Fleisch abhängen ließen, und dahinter verschwand. Kurz sah sie zu Gabriel, der sich zusammen mit Otemin und Marie damit unterhielt, die letzten Schmetterlinge, die in der Abenddämmerung noch umherflatterten, zu fangen, erhob sich dann ebenfalls und ging Alexander nach. Unterwegs begegnete sie Munro, der eine Flasche Branntwein aus eigener Herstellung bei sich trug und sie neugierig ansah.
Alexander hörte Isabelle kommen; er hatte schon auf sie
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