Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
war klar, dass seine Gefühle ehrlich waren. Er hatte recht. Für Gabriel war er sein Vater, der ihn liebte und ihn beschützte.
»Das kommt einzig und allein auf Euch an, Pierre.«
Schleppenden Schrittes verließ er das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich. Isabelle blieb allein auf dem Bett zurück, über dem noch die Ausdünstungen von Alkohol und Wollust hingen, und starrte an die Decke. Ihr Blick umwölkte sich. Aber sie schloss die Augen und biss sich auf die Lippen, um das Schluchzen zu unterdrücken, das sie zu überwältigen drohte. Nein, sie würde nicht weinen. Um Gabriels willen würde sie stark sein … Für Gabriel, denn er war jetzt alles, was sie noch hatte.
2
Der Vertrag
An diesem Nachmittag war der Himmel blau, und eine angenehm milde Brise wehte durch die zum Lüften geöffneten Fenster. Marie legte Kekse auf einen Teller, den sie dann auf ein Tablett stellte. Élise hatte wie abgesprochen am Morgen nach den unglückseligen Ereignissen die Larues verlassen. Sie war in Tränen aufgelöst gewesen. Die kleine Indianerin hatte vorübergehend viel mehr Aufgaben als sonst zu erledigen, aber sie erhob keine Einwände dagegen.
»Lass nur«, meinte Isabelle, der die Kleine leidtat, und stand auf. »Geh lieber Gabriel holen und hilf ihm, sich vor dem Essen zu waschen. Ich bringe das Tablett selbst ins Arbeitszimmer meines Mannes. Wie viele Herren sind es?«
»Drei. Mit Monsieur Larue vier, Madame.«
»Gut«, gab Isabelle zurück und nahm vier Tassen aus dem Küchenbüffet.
Marie schenkte ihr ein dankbares Lächeln und ging zur Hoftür hinaus. Isabelle sah ihr nach. Was für ein merkwürdiges Mädchen!, sagte sie sich. Die Kleine war von Geburt Mohikanerin, aber man hatte sie aus ihrer Familie geholt, als sie fünf war. Ihr Vater war trunksüchtig und schlug seine Frau und seine älteren Töchter, die er wahrscheinlich auch missbraucht hatte. So hatte man Marie zu ihrem eigenen Schutz aus ihrer Umgebung entfernt und sie bei den Nonnen im Hospital von Montréal untergebracht.
Als das Mädchen neun gewesen war, hatte der Kaufmann Mercier sie in seine Dienste genommen, als Hilfe für seine Frau, die nach der Geburt ihres neunten Kindes erkrankt war. Marie redete nicht viel, aber sie konnte gut mit Kindern umgehen. Doch die Frau war gestorben, und der Witwer, der krank war und sich zudem ruiniert hatte, konnte sich nicht um seinen Nachwuchs kümmern. Widerstrebend hatte er die Kinder zu Verwandten gegeben und sein Hausmädchen entlassen. Der Zufall hatte gewollt, dass Pierre der Notar gewesen war, der den Besitz der Merciers inventarisierte. Er hatte Marie angestellt.
In den Tagen nach Élises Entlassung hatten sich alle auf die neue Situation eingestellt. Glücklicherweise ließ Gabriel sich durch die Ankunft eines neuen Hausdieners ablenken. Und Pierre brachte ihm, wie versprochen, eine große Katze mit. Das Tier aalte sich in diesem Moment auf einem Fensterbrett und hielt seinen weißen Bauch in die warmen Sonnenstrahlen. Gabriel hatte sie Arlequine getauft, weil ihr Fell mit seinen rötlichen, weißen und schwarzen Flecken an ein Harlekin-Kostüm erinnert hatte.
Erstaunlicherweise legte Pierre Isabelle gegenüber keinen Groll an den Tag. Wenn er zu Hause war, kam er zu allen Mahlzeiten und nahm wie immer an ihren Gesprächen teil. Gabriel bemerkte nichts. Er freute sich einfach darüber, dass er einen neuen Freund hatte und sein Vater wieder mit der Familie aß.
Laute Stimmen drangen aus dem Arbeitszimmer und holten Isabelle in die Wirklichkeit zurück. Die junge Frau schloss die Tür, durch die allzu grell die Sonne schien. Sie stellte die dampfende Teekanne auf das Tablett und ging dann schwer beladen in Richtung Arbeitszimmer.
Zerstreut lauschte Alexander dem Gespräch der anderen Männer, die sich mit ihm im Arbeitszimmer aufhielten, und dem Vogelgezwitscher, das durch das halb geöffnete Fenster von der Straße hereindrang. Er ließ einen wohlgefälligen Blick über die eleganten Holzregale schweifen, in denen der Notar seine Bücher und Dokumente aufbewahrte. Ledereinbände, Nippessachen aus Fayence, kostbare Gegenstände, die von gutem Geschmack und Reichtum zeugten … Alexander biss die Zähne zusammen und schwor sich, dass auch er eines Tages eine so bequeme und luxuriöse Wohnstatt besitzen würde. Sein Zusammentreffen mit van der Meer, dem kanadischen Händler, öffnete ihm die Türen zu einer vielversprechenden Zukunft.
Der Hollandais hatte den Vertrag gelesen, der
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