Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
angespannte Atmosphäre im Raum spürte.
»Am ersten Mai. Das ist… schon bald.«
»In fünf Tagen, Madame«, erklärte Alexander überhöflich und lächelte.
»Drei Jahre, das ist eine lange Zeit … sehr lang, wenn man sich unter Fremden in einem unbekannten Land aufhält.«
»Ich versichere Euch, Madame, dass ich schon schlimmere Einsamkeit erlebt habe«, beharrte Alexander und zog die Augen zusammen, um festzustellen, wie Isabelle reagierte.
Pierre fasste die junge Frau um die Taille und zog sie an sich. Sie spannte sich gegen die besitzergreifende Geste an, die sie daran erinnerte, dass sie ihm immer noch gehörte. Sie reckte das Kinn und begegnete erneut Alexanders Blick. Seine Augen waren immer noch so tiefblau, doch es lag eine Kälte darin, die sie noch nie bei ihm gesehen hatte und die sie erschauern ließ. Ein Räuspern riss sie aus ihrer Betrachtung. Pierre ließ sie los, nahm die beiden Verträge und steckte sie in einen Aktendeckel aus Pappe, den er dann mit einem dumpfen Knall auf die Schreibtischplatte fallen ließ.
»Gut, ich glaube, damit ist alles erledigt«, schloss der Notar und trat auf den kanadischen Händler zu. »Darf ich den Herren noch eine Tasse Tee und etwas Gebäck anbieten?«
»Ähem … nein, vielen Dank«, lehnte der Hollandais höflich ab und nahm seinen Hut von dem Tischchen an der Tür, wo er ihn abgelegt hatte. »Ich muss mich um die letzten Vorbereitungen für die große Reise kümmern. Wenn Ihr noch etwas mit mir zu besprechen habt, schickt mir doch bitte eine Nachricht ins Gasthaus Dulong, wo wir abgestiegen sind.«
»Dulong … das kann man sich gut merken. Dann kann ich Euch nur noch viel Glück wünschen, Monsieur van der Meer. Möge Gott Euch schützen. Monsieur Solomon …«
»Danke, Mr. Laroue .«
»Monsieur Macdonald«, fuhr Pierre fort und streckte Alexander die Hand entgegen. »Es war mir ein Vergnügen …«
Alexander starrte auf die Hand, die Isabelles Körper berührt hatte. Er hob das Kinn, begegnete dem Blick aus den halbgeschlossenen Augen des Notars und erwiderte ihn. Schließlich nahm er die Hand und drückte sie.
»Gute Reise.«
Pierre Larues Haltung, seine honigsüße Stimme und sein leises, berechnendes Lächeln ließen Alexander vermuten, dass der Mann etwas ahnte. Aber wie viel genau wusste er?
Isabelle, die wie vor den Kopf geschlagen dastand, spürte, wie sie von Panik ergriffen wurde, als Alexander sich zum Gehen wandte. Sollte sie ihn einfach so ziehen lassen? Aber was hätte sie sonst noch sagen oder tun können? Sie hätte schwören können, dass Pierre sie aus dem Augenwinkel beobachtete. Er hatte Gabriels Vater zwar nie gesehen, wusste aber im Großen und Ganzen, wer er war. Außerdem hatte er aus dem etwas rätselhaften Dialog zwischen Alexander und ihr ziemlich zutreffende Schlüsse darüber ziehen können, welche Verbindung einmal zwischen seiner Frau und diesem Klienten bestanden hatte.
Starr wie eine Statue ging Alexander an ihr vorüber und streifte sie beinahe mit seiner Hand. Diese Hand … Als sie sah, dass daran ein Finger fehlte, entfuhr ihr ein Stöhnen. Alle drehten sich zu ihr um. Alexander, der ihrem entsetzten Blick gefolgt war, hob den Arm und ballte die Hand zur Faust.
»Habt … habt Ihr Euch verletzt, Monsieur Macdonald?«
»Eine Erfrierung, Madame. Nichts weiter als eine Erfrierung. Es gibt Schlimmeres, als einen Finger zu verlieren, findet Ihr nicht?«
Sie sah ihn an, und in ihren feuchten Augen stand das Flehen, er möge das Unbegreifliche verstehen. Wie sollte sie ihm alles erklären? Wie ihn um Verzeihung bitten? Ob er ihr eines Tages vergeben würde?
»J … a, da habt Ihr wohl recht, Monsieur.«
Sie schlug die Hand vor den Mund und wandte sich ab. Die drei Männer traten auf den Flur; ihre Stimmen waren noch einen Moment lang aus dem Eingangsbereich zu hören. Die Vorstellung, Gabriel könnte in diesem Moment hereinkommen, machte ihr schreckliche Angst. Doch dann wurde die Tür geöffnet, sodass der Straßenlärm eindrang, und dann wieder geschlossen. Alexander war fort. Im Haus herrschte jetzt eine bleierne Stille. Sie rang ein Schluchzen nieder und wollte das Arbeitszimmer verlassen, als Pierre ihr den Weg vertrat.
»Ihr seid so blass, meine Gattin«, bemerkte er mit zynischem Unterton. »Sollte das wirklich an dem fehlenden Finger liegen? Unserem guten Freund Franchère fehlt ein Bein, und doch hat Euch das noch nie so bestürzt.«
Der Notar trat an seinen Schreibtisch, auf dem der
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