Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
biss die Zähne zusammen. Pierre Larue hatte ihm einen wichtigen Teil seines Lebens geraubt, den er nie zurückbekommen würde. Damit würde er sich abfinden müssen. Er wischte seine Tränen ab, die in Isabelles Haar liefen, und drückte sie fest an sich. Die Frau, die er seit Québec geliebt hatte, war mit Körper und Seele zu ihm zurückgekehrt. Endlich ließ Gott ihm Gerechtigkeit widerfahren. Sein schmerzendes Kinn und der Nachhall der Ekstase in seinem ganzen Körper bewiesen ihm, dass er nicht träumte. Er nahm Isabelles Hand, die schlaff auf seiner Brust ruhte, und küsste die Fingerglieder, die sich um seine schlossen. Dann strich er über den Ring aus Horn, den er schon zu Beginn des Festes an ihrer Hand bemerkt hatte. Das war das Symbol ihrer Zusammengehörigkeit: die Lilie und die Distel, für alle Ewigkeit ineinander verschlungen.
Er dachte an Gott, der, wie er überzeugt gewesen war, ihn endgültig verlassen hatte. Wie oft hatte er Ihn in seiner tiefen Enttäuschung und Mutlosigkeit geleugnet und geschmäht? Wie oft hatte er Ihn gelästert? Bestimmt oft genug, um die Hölle zu verdienen! Doch Gott hatte ihm diesen Augenblick höchsten Glückes gewährt. Würde Er ihm auch endlich die Ruhe des Kriegers schenken? Oder war diese Freude nur ein Trugbild, ehe der nächste Schwerthieb sein Herz treffen würde? Alexander vermochte sich seiner Zweifel nicht zu erwehren und konnte nur schwer glauben, dass dieses Glück von Dauer sein würde. Dazu hatte er zu viele Enttäuschungen erlebt. Der Augenblick war alles, an dem er sich festhalten konnte: carpe diem …
In der Ferne rief ein Eistaucher. Die heraufziehende Morgendämmerung ließ den Himmel verblassen und warf einen schimmernden Schleier über die Sterne, die einer nach dem anderen verschwanden. Der Anblick erinnerte ihn an einen anderen Morgen, den sie auf einer Lichtung erlebt hatten. Er sah die gleichen wunderbaren Farbschattierungen und hätte sie am liebsten in alle Ewigkeit so bewahrt, um sie vor dem Schicksal zu bewahren, vor der Zeit, die alles trübt.
15
Gefahr im Verzug
Die Natur erglühte in leuchtenden Farben: flammendes Rubinrot, warme Bernsteintöne, tiefes Granatrot und strahlende Gelbnuancen. Der Herbst war ein Fest. Die letzte sommerliche Wärme hielt noch einige Tage an, um dann von Kiwetin , dem Nordwind, verjagt zu werden. Anschließend fiel in den Wäldern das Laub, und die Flüsse erstarrten zu Eis.
Das Land der Anishnabek schlummerte ein. Der Winter bedeckte die Hügellandschaft mit einem herrlichen, schneeweißen Mantel. Die mit schweren, leuchtenden Kleidern herausgeputzten Tannen konnten nicht umhin, sich vor Nanabozos 51 großer Kunst zu verneigen.
Vor diesem herrlichen Hintergrund vergaß Isabelle in der warmen, gemütlichen Hütte ihre Einsamkeit. Oft wurde ihr noch nostalgisch zumute, wenn sie an Madeleine dachte, die ihr schrecklich fehlte. Aber sie hatte ihren Platz gefunden. In der Hütte stapelten sich die Strohhüte und Puppen aus Maisstroh, die darauf warteten, im Frühling in der Mission am Deux-Montagnes-See verkauft zu werden. Sie wurde immer geschickter und schneller bei diesen Arbeiten. Bald würde sie es mit Rindenkörben versuchen.
Während die Männer die Runde bei den Fallen machten, im Eis fischten oder Holz hackten, lehrte Mikwanikwe sie die Kunst des Stickens mit Stachelschweinborsten. Isabelle gab die weich gewalkten Borsten in flüssige Farben, deren Rezepte nur die Ojibwa-Frau kannte, und stach sie dann durch die feine, weiße Birkenrinde, wobei sie exakt den vorgezeichneten Motiven – Schildkröten, Erdbeeren, Vögel oder Blumen – folgte. So schmückten sie die Deckel von Schachteln, die ebenfalls zum Verkauf bestimmt waren.
Wenn das Wetter es zuließ, gingen die Frauen mit den Kindern ins Freie, um Schneemänner zu bauen, mit Schneeschuhen den nächstliegenden Hügel zu erkunden oder auf dem Schlitten, den Munro ihnen zum Neuen Jahr gebaut hatte, zu rodeln.
Wenn es Nacht wurde und in der Hütte nur noch das Knistern des Feuers und der regelmäßige Atem von Gabriel und Marie zu hören war, flüchteten Isabelle und Alexander sich hinter Ledervorhänge und umarmten einander unter ihren dicken Woll- und Pelzdecken. Was für ein Glück, aus dem Kelch einer solchen Seligkeit zu trinken, die sie berauschte und einen langen Nachgeschmack hinterließ wie der allerbeste Wein! Zufrieden schlummerten sie anschließend ein, in der Gewissheit, dass nichts vergebens gewesen war und alles seinen Grund
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