Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Bevor du in dem Zeichenatelier vor mir standest, hatte ich beschlossen …«
»Ich weiß …«, unterbrach er sie und drückte sie an sich. »Du hattest beschlossen, nicht mit mir zu gehen.«
»Wie hast du das erraten?!«
»An deiner Haltung, deiner Stimme … Du hast zu lange gezögert. Und dennoch standen die Kisten im Flur. Du wolltest fort, aber wohin?«
»Nach Beaumont.«
»Beaumont? Wolltest du … zu jemand Bestimmtem?«
»Nein. Ich besitze dort ein Grundstück. Ich wollte Montréal verlassen, Gabriel in die frische Landluft bringen und ihm ein Pony kaufen.«
»Ja, sein Pony. Du hast mir davon erzählt.«
»Beaumont kann warten, und das Pony auch… im Moment jedenfalls. Gabriel scheint hier so glücklich zu sein. Er hat Otemin und viele kleine Tiere, mit denen er sich amüsieren kann.«
»Das kann man wohl sagen!«
Alexander lachte und verscheuchte eine hartnäckige Mücke, die ihn umschwirrte.
»Heute bei seinem Nachtgebet hat er das Jesuskind gebeten, seinen neuen ›Papa Alex‹ zu beschützen.«
»Das … hat er gesagt?«
»Ja.«
Alexander räusperte sich, um seinen inneren Aufruhr zu überspielen, und wandte sich ab.
»Er hat sich schnell an dich angeschlossen, Alex.«
»Ich weiß… Aber ich mache mir da nicht allzu viele Illusionen … Nun ja … Gabriel hat einfach seinen verstorbenen Vater durch einen anderen ersetzt, mit dem er sich gut unterhält und der ihm Sicherheit gibt.«
»Und den er liebt! Gaby geht sonst nicht so freigebig mit seiner Zuneigung um. Du hast in kaum zwei Monaten erreicht, was Jacques Guillot in mehreren Jahren nicht gelungen ist.«
»Wer ist Jacques Guillot?«
»Pierres Geschäftspartner.«
»Pierres Partner … ach ja.«
Alexander runzelte die Stirn. Bestimmt war das dieser Geck gewesen, den er auf der Schwelle des Hauses in der Rue Saint-Gabriel gesehen hatte, wie er der Witwe überschwänglich die Hände küsste. Er verscheuchte die Erinnerung, die Gefahr lief, den empfindlichen Frieden zwischen ihnen zu stören. Ein paar Minuten lang dachte er nach.
»Dein Haus, die Stadt, deine Freunde …«, fragte er dann. »Vermisst du das alles eigentlich?«
Isabelle gab keine Antwort. Er erforschte die Dunkelheit und sah ihre Augen im Mondlicht glänzen.
»Isabelle?«
»Nein … also, nicht wirklich. Es gefällt mir hier recht gut, vor allem, weil ich weiß, dass diese Situation nur ein Übergang ist. Denn das hast du doch gesagt, oder? Du weißt doch, dass Gabriel aufs Kolleg gehen muss! Ich möchte, dass er eine respektable Erziehung erhält und … Zugestanden, für ein Kind sind die Wälder ein unterhaltsamer Aufenthaltsort! Aber Gabriel muss lernen, in einer kultivierten Welt zu leben, zusammen mit anderen Kindern.«
»Ich weiß«, gab er ein wenig barsch zurück. »Im Frühjahr werden wir ja sehen, wie viele Felle ich zusammengebracht habe.«
»Im Frühjahr? Gut, einverstanden. Bis dahin kann ich warten.«
Unvermittelt legte Alexander die Hand über Isabelles Mund. Ängstlich riss sie die Augen auf.
»Tuch!«
Ein Schnüffeln verriet ihnen, dass in der Nähe ein Tier herumschlich. Vorsichtig griff der Schotte nach seinem Gewehr und machte es schussbereit. Mit einer Handbewegung gebot er seiner Gefährtin, sich nicht zu rühren, ging auf die Knie und zog die Augen zusammen, um die Umgebung prüfend zu mustern. Ganz in der Nähe des Tisches, an dem ihr Festmahl stattgefunden hatte, wühlten drei oder vier Tiere von der Größe eines Hundes lautstark herum. Eines von ihnen lief durch einen Strahl des gleißenden Mondlichts, und er erkannte ein schwarzes Gesicht und einen helldunkel gestreiften Schwanz. Erleichtert legte er das Gewehr weg, richtete sich auf alle viere auf und beobachtete die Besucher noch einen Moment lang. Ein weiteres Tier wollte sich zu der diebischen Bande gesellen, worauf heftig geknurrt wurde.
»Waschbären«, meinte Isabelle.
Dann brach große Aufregung aus. Der Neuankömmling, der offenbar nicht dazugehörte, wurde von einem großen, besonders angriffslustigen Exemplar verscheucht. Sein Knurren und Zähneknirschen jagten Isabelle einen kalten Schauer über den Rücken, und sie schmiegte sich fest an Alexander. Der Kampf dauerte einige Minuten. Dann stürzten sich die durch den Radau alarmierten Hunde unter wildem Kläffen und Knurren ins Getümmel. Augenblicklich verschwanden die Waschbären, nicht ohne noch schnell einige abgegessene Maiskolben mitzunehmen. Mit pochendem Herzen und aufgestelltem Haar hörte Isabelle
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