Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
Otemin und Duglas spielen gehen?«
Isabelle erinnerte sich, dass sie das Reisepult tatsächlich ganz unten in eine Kiste gepackt hatte. Sie war entmutigt.
»Oh, so etwas Dummes! Ich brauche meine Tinte, um an Monsieur Guillot zu schreiben!«
»Darf ich jetzt, Mama?«
»Ähem … ja. Versuch aber, nicht allzu weit wegzulaufen. Ich brauche dich nachher, um dein Spielzeug zu verpacken … In Ordnung, Gaby?«
Der Junge war schon davongesprungen und hatte die Tür weit offen gelassen.
»Schön, ich habe verstanden! Dann mache ich mich eben selbst auf die Suche nach Marie, nachdem ich diesen Brief geschrieben habe. Die Liebe ist ja etwas Wunderbares. Aber wir haben auch zu packen!«
Nachdem sie ihr Reisepult gefunden hatte, klappte sie es auf. Madeleines letzter Brief lag sorgfältig verstaut auf dem Stapel Korrespondenz, die sie seit ihrer Ankunft in Red River Hill erhalten hatte. Alexander hatte ihn ihr an dem Morgen, an dem er mit Nonyacha aufgebrochen war, gegeben. Fieberhaft griff sie danach und breitete das Blatt auf ihren Knien aus, um es noch einmal zu lesen. Das Leben ging manchmal erstaunliche Wege … Rasch überflog sie die üblichen Höflichkeitsfloskeln, sprang von einer Zeile zur anderen und fand endlich die Passage, die sie in Aufregung versetzt hatte:
Ehe ich diesen Brief beende, möchte ich dir noch etwas mitteilen, meine liebe Isa. Das ist alles so überraschend geschehen … Doch nun, da ich es aufschreibe, wird mir klar, dass ich nicht geträumt habe …
Isabelle übersprang noch ein paar Sätze.
Seit sie hier sind, ist das Haus so lebendig! Coll scheut vor keiner Arbeit zurück, und Vater Macdonald ist hinter seiner mürrischen Miene ein ganz bezaubernder alter Herr. Man muss ihn verstehen … Er ist krank und hat oft starke Schmerzen. Er hat die lange Reise gemacht, um Alexander wiederzusehen.
Coll ist so ganz anders, als ich dachte; jedenfalls sehe ich ihn jetzt mit völlig anderen Augen. Seine kleine Tochter Anna ist ganz allerliebst, Isa. Mitleid, höre ich dich schon sagen. Zu Beginn glaubte ich das auch. Sicher, dieser verwitwete Vater, der allein mit einem Säugling und einem Greis dasteht, hat mich schon gerührt. Aber wenn ich ihn heute ansehe, weiß ich, dass nicht mehr Mitgefühl mich zu ihm zieht. Ob ich ihn liebe? Ich könnte nicht genau sagen, wie sehr. Die Gefühle, die ich für ihn hege, sind so ganz anders als das, was ich für Julien empfunden habe. Aber ich weiß auch, dass Liebe unterschiedliche Formen annehmen kann. Nun gut! Ich liebe ihn.
Wir heiraten am Montag, dem 24. Oktober, in der Saint-Laurent-Kirche, gleich nach der Ernte. Ich bin vor Freude ganz außer mir. Aber überglücklich wäre ich, wenn ich in den Kirchenbänken dein Lächeln und den Rotschopf meines kleinen Gaby sehen würde. Ihr fehlt mir ganz schrecklich. Aber ich werde dich nicht zu meiner Hochzeit einladen, damit du nicht abzulehnen brauchst …
Eine Träne trat in ihren Augenwinkel. Sie wischte sie mit dem Handrücken ab und räumte den Brief weg.
»Ich werde da sein, liebe Mado, ich komme bestimmt! Und dann wirst du eine große Überraschung erleben! Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich dir dein wohlverdientes Glück gönne …«
Leichten Herzens bewaffnete sie sich mit der Schreibfeder, überzeugte sich davon, dass sie angespitzt war, und zog ein Blatt Papier hervor. Sie stellte sich schon vor, wie Alexander sich freuen würde, wenn er davon hörte.
Isabelle zögerte, ihr Dienstmädchen holen zu gehen. Sie hatte gesehen, wie die junge Frau zusammen mit Francis in den Wald gegangen war; und es wäre sowohl für die beiden als auch für sie selbst unerquicklich gewesen, wenn sie die jungen Leute im unrechten Moment überraschte. Auf der anderen Seite waren noch mehrere Kisten zu packen. Daher beschloss sie, ihnen nachzugehen, schritt zwischen den Bäumen hindurch und rief dabei laut ihre Namen, damit sie, wenn nötig, ihre Kleidung richten konnten.
Das Laub knisterte unter ihren Schritten, und der säuerliche Geruch des feuchten Bodens stieg ihr in die Nase. Sie dachte an den Besitz in Beaumont und stellte sich den Wald vor, der die Kornfelder säumen musste, und die ruhigen Wasser des Flusses. Das Haus war in den Jahren seit der Eroberung durch die Engländer instand gesetzt worden. Außerdem lieferte das Land inzwischen ausgezeichnete Erträge. Die Scheunen von »Petit Bonheur«, wie der Vorbesitzer Jean Couture das Gut getauft hatte, waren immer gut
Weitere Kostenlose Bücher