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Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Titel: Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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sich unvermeidlich die Diebe ein.
    Die Menschen, die von Bord gingen, und die Waren, die man auf die Kais hievte, wurden noch vom muffigen Geruch aus dem Inneren des Schiffsrumpfes umschwebt. Die Einwanderer drängten sich zusammen, als scheuten sie sich, die vertraute Umgebung der engen Zwischendecks zu verlassen, auf denen sie mehrere endlose Wochen lang dicht zusammengedrängt gelebt hatten. Im Gegensatz dazu wirkte die enorme Weite dieses unbekannten Landes furchteinflößend. Die sorgenvollen, aschfahlen Gesichter wandten sich hin und her, und die während der rauen Überfahrt verkrümmten Körper streckten sich unter Schmerzen.
    Ein paar Schritte von Alexander entfernt ging ein Mann von Bord. Seine dünne, von bräunlichen Flecken und Flohbissen übersäte Gesichtshaut spannte sich über den Knochen und verlieh ihm ein asketisches Aussehen. Seine dunkle Kleidung kennzeichnete ihn als presbyterianischen Pastor. Eine Frau und zwei kleine Kinder folgten ihm. Kaum standen sie auf dem Kai, bedeutete der Familienvater ihnen mit einer gebieterischen Geste, vor ihm niederzuknien.
    Die magere Frau mit dem aschfahlen Gesicht und den verklebten Augen erstickte einen trockenen Husten in ihrer schmutzigen Schürze. Der Knabe, der ebenfalls von kümmerlicher Gestalt war, drückte sein kleines Bündel an sich und lauschte zerstreut dem väterlichen Segen. Bestimmt hatte er den Kopf voller abenteuerlicher Träume, denn er ließ bereits den Blick über die Straßen der Unterstadt schweifen. Als er bemerkte, dass der Schotte ihn beobachtete, warf der rothaarige Knabe ihm ein schüchternes Lächeln zu. Hinter ihm stand seine kleine Schwester.
    Alexander schnürte es die Kehle zu, und er wandte sich schroff von diesen Kindern ab, die ihm schmerzlich die Leere in seinem Leben zu Bewusstsein brachten. Sieben Monate waren jetzt vergangen, seit die Algonquin ihn aufgelesen und einer Siedlerfamilie anvertraut hatten, die am Ufer des Rivière du Chêne lebte. An die ersten Wochen, in denen er viel geschlafen und fantasiert hatte, konnte er sich kaum erinnern. Oft kam es vor, dass er mitten in der Nacht nassgeschwitzt aus unruhigen Träumen aufschreckte und entsetzliche Bilder im Kopf hatte. Doch sobald er die Augen aufschlug, waren sie verflogen. Er schloss die Augen und erinnerte sich an die vergangenen Monate …
     
    September 1768
    »Ihr habt einen heftigen Schlag auf den Kopf abbekommen«, erklärte ihm Dumont, der Siedler. »Der Arzt meint, dass Eure Erinnerung nach und nach zurückkehren wird. Immerhin wisst Ihr schon Euren Namen und die einiger Eurer Familienangehörigen. Und Ihr erinnert Euch, dass Ihr nach Kanada gekommen seid, um es uns ordentlich zu zeigen! Ihr sprecht die Sprache der Indianer. Nein, Euer Kopf ist nicht allzu sehr beschädigt. Von Eurem Bein kann man das allerdings nicht behaupten. Möglicherweise werden wir es amputieren müssen …«
    Das Los seiner Gliedmaßen war Alexander momentan gleichgültig. Er fuhr sich durchs Haar, seufzte dann und ließ die Hand kraftlos auf sein Lager sinken. Wenn er dafür sein Gedächtnis vollständig wiederbekam, würde er sich das Bein sogar mit einer Fleischeraxt abhacken lassen.
    Tag für Tag stiegen neue Erinnerungen in ihm auf. Immer wieder trat darin ein rundwangiges Frauengesicht mit zwei wunderhübschen Grübchen auf. Eine Frau beugte sich mit gelockertem Mieder über ein Gemüsebeet. Ein kleiner Junge lief auf sie zu. Aber Alexander konnte keine Namen mit diesen Menschen verbinden. Andere Szenen und Gesichter tauchten vor seinem inneren Auge auf, wühlten ihn auf und verunsicherten ihn. Als dann die Winterkälte hereinbrach und die Flüsse zufroren, sodass man sie überqueren konnte, fuhr der Siedler mit seiner Familie zur Mission am Deux-Montagnes-See, um vor Weihnachten zur Beichte zu gehen. Als die Familie zurückkehrte, wurde sie von drei Indianern begleitet, die in der Mission lebten.
    Jean Nanatish hatte zufällig gehört, wie der Siedler von diesem Fremden erzählte, den ein Jagdtrupp der Algonquin zu Beginn des Herbstes zu ihm gebracht hatte. Er hatte sich nach dem Namen des Mannes erkundigt, ihn sich beschreiben lassen und dann gebeten, man möge ihn zu ihm bringen. Er sei ein Freund von ihm, hatte er Dumont versichert, und der Siedler, der seine christliche Nächstenliebe seiner Meinung nach ausreichend unter Beweis gestellt hatte, war erleichtert gewesen, ihm seinen schweigsamen Gast zu überlassen.
    Nanatish hatte Alexander auch die Namen verraten, auf

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