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Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Titel: Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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war.
    Mit klopfendem Herzen und von seinen Gefühlen überwältigt sah er dann, wie Isabelle sich mit einer anmutigen Bewegung, die ihre Röcke aufblähte, zu ihm umwandte. Sie hielt ihre kleine Tochter auf den Armen und lächelte ihm durch ihre Haarsträhnen, die wie goldene Wimpel im Wind flatterten, zu.
    Abrupt riss er sich aus seinen Visionen und stieß ein Schmerzensgeheul aus.
    »Ich muss dorthin!«
    Wie von Sinnen schlug er um sich, um den festen Griff der Männer abzuwehren, die ihn auf seinem Lager hielten.
    »Das geht nicht; du musst noch ein paar Wochen liegen. Und außerdem sind die Wege noch zu stark verschneit, um sie zu begehen, Alexander. Ich werde mein Möglichstes tun, um Erkundigungen darüber einzuholen, was dort geschehen ist.«
    Doch Jean Nanatish ahnte schon, dass er nichts weiter herausbringen würde, ehe der Deux-Montagnes-See vollständig eisfrei war. Im Moment war er mit Eisschollen bedeckt, sodass man ihn nicht mehr mit dem Hundeschlitten überqueren, aber auch noch nicht mit dem Kanu befahren konnte. Sie mussten warten.
     
    Drei nicht enden wollende, anstrengende Wochen verstrichen. Alexander war an seinen Strohsack gefesselt und verfluchte alle Götter im Himmel für das Leid, das er ertragen musste. Endlich dämmerte grau und kalt das Licht des ebenso ersehnten wie gefürchteten Tages herauf. Feiner Nieselregen fiel, und Nebel lag über der Landschaft. Er schlüpfte in seine Mokassins, obwohl sein Bein sein Gewicht noch nicht lange tragen konnte, und machte sich in Begleitung von vier weiteren Männern auf den Marsch nach Red River Hill.
    Die Reise war beschwerlich. Seine Verletzung war noch zu frisch und zwang Alexander häufig zum Anhalten. An manchen Stellen waren die Pfade noch unwegsam. Mehrmals mussten sie sogar die Schneeschuhe anziehen. Schließlich erreichte die Gruppe den Obstgarten, den das Wild zerstört hatte. Langsam ging der Schotte den Weg entlang, der zur Hütte führte. Ihm stockte der Atem, als er die Verwüstung betrachtete, die nur das Werk von Étienne Lacroix sein konnte…
    Der Nordwestwind pfiff um die Gerippe der Gebäude. Die Tür von Munros Hütte knarrte in ihren verrosteten Angeln. Von den Fenstern der einfachen Behausung der MacInnis-Brüder war nicht mehr viel übrig, und das Dach war an einer Stelle eingestürzt, sodass der milchweiße Himmel hereinschien. Vom Blockhaus des Hollandais’ waren nur noch die geschwärzten Steinfundamente zu sehen, über denen ein paar Balken lagen. Wie in Trance trat Alexander über die Stelle, an der sich einmal die Tür befunden hatte. Auf der Suche nach einem Gegenstand, der den Brand überstanden hatte, oder einer Spur, die darauf hinwies, was wirklich geschehen war, schob er mit der Fußspitze verkohlte Holzstücke umher. Vergeblich; er stieß nur auf kalte Asche.
    Gegenüber dem Kamin blieb er stehen. An dem verrosteten Haken hing noch der Kessel, in dem Isabelle ihre Suppen gekocht hatte. Ihm war, als sähe er seine Frau – denn das war sie in seinen Augen –, wie sie sich darüber beugte, um den duftenden Dampf einzusaugen, und sich dann aufrichtete. »Die Suppe ist fertig!«, hatte sie dann gerufen. »Wer nicht gleich mit sauberen Händen an den Tisch kommt, geht mit leerem Magen schlafen!« Gabriel hatte zu seinem eigenen Schaden feststellen müssen, dass man den Anordnungen seiner Mutter nicht ungestraft zuwiderhandelte. Eines Abends hatte er hungrig zu Bett gehen müssen, weil er sich erst auf die Bank gesetzt hatte, als alle Suppenschalen schon gefüllt waren.
    Doch von diesem Glück, das Alexander erlebt hatte, waren nur noch verlassene Ruinen und ein hartnäckiger Rußgestank übrig. Der Schotte drehte sich zu Jean Nanatish um, der auf der Bank, die gegenüber dem Backofen stand, auf ihn wartete.
    »Wo sind die Gräber?«
    Der Algonquin wies mit dem Finger zuerst in Richtung Latrine und dann zum Waldrand.
    »Eines befindet sich dort, ein paar Schritte von dem Nebengebäude entfernt unter dem Weißdorn. Das andere liegt weiter weg, in der Nähe des Weges.«
    Es erstaunte Alexander, dass die Gräber so weit auseinanderlagen. Unsicheren Schrittes und von dunklen Vorahnungen erfüllt ging er zuerst zu der Stelle am Waldrand. Nur ein Holzkreuz, auf dem nichts geschrieben stand, bezeichnete das Grab. Er kauerte nieder. Nach der Größe des Erdhügels zu urteilen lag darin ein Erwachsener, kein Kind. Er war erleichtert, aber nicht vollständig beruhigt. Wer mochte dort begraben sein? Wo waren die Überlebenden

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