Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
vertrauen. Daher hatte er beschlossen, den Schatz in Ruhe zu lassen und ihn an einem anderen Platz, den nur er allein kannte, wieder zu verstecken: unter dem Weißdorn, bei dem… John begraben lag.
Das Heft hatte er unter dem Ledersack, der die Münzen barg, entdeckt. Doch es war Wasser in die Truhe eingedrungen, sodass die Tinte verlaufen war. Nur wenige Namen auf der Liste waren noch zu entziffern. Étienne hatte sie unbedingt in die Hand bekommen wollen, entweder um die betreffenden Männer zu schützen, oder um von ihnen noch mehr Geld zu erpressen, als die Schatulle enthielt … Er hatte das Dokument wieder unter den Ledersack gelegt.
Nachdem er aus Red River Hill fortgegangen war, hatte er immer wieder das Klimpern des Goldes gehört, das ihn geradezu verfolgt hatte. Mit diesem Vermögen hätte er so vieles tun können …
»Um ehrlich zu sein, Isabelle, habe ich lange gezögert, bis ich mich entschieden habe, das Gold dortzulassen. Ich habe daran gedacht… einen Teil davon für die Kinder zu verwenden.«
»Für die Kinder? Aber wem wolltest du das Geld denn geben ?«
Sie sah ihn einen Moment lang schweigend an, bevor sie begriff, worauf er anspielte. Dann nickte sie betrübt. Nie würde sie ermessen können, was er erlitten hatte, einsam und in dem Glauben, seine Familie verloren zu haben.
»Und was ist jetzt damit?«
Er zuckte die Achseln und sah zum Haus, aus dem die fröhlichen Stimmen der Kinder zu ihnen drangen.
»Im Moment möchte ich es lassen, wo es ist. Ich habe ein wenig Geld … Munro hat mir meinen Anteil aus dem Verkauf unserer Pelze ausgezahlt. Dann habe ich noch Gauthiers Wechsel… Damit kommen wir aus, bis ich wieder in der Lage bin zu arbeiten.«
Isabelle trat auf ihn zu, legte die Hand auf seine Wange und sah ihm tief in die Augen.
»Einverstanden. Das Gold soll weiterschlummern … lange Zeit. Wenn überhaupt, darf es nur für eine noble Sache verwendet werden.«
Alexander biss die Zähne zusammen. Niemals durfte er Isabelle verraten, dass er daran gedacht hatte, den letzten Teil des Schatzes einem anderen Zweck zuzuführen. In seinen Augen war dieses Ziel gerechtfertigt, aber nobel war es keinesfalls. Es wäre so leicht gewesen, Étienne damit in die Falle zu locken…
22
Im Namen des Vaters, des Sohnes und eines Traums
Seit Minuten betastete er mit zitternden Fingern den Brief. So oft war er schon über die Tinte gefahren, dass sie verblasst und an einigen Stellen sogar völlig gelöscht war. Eigentlich war der Brief nur noch ein Papierfetzen, aber das war jetzt nicht mehr wichtig, denn er kannte den Inhalt auswendig. Darin gestand John, sein Sohn, von dessen Tod er soeben erfahren hatte, ihm alles.
Duncan hörte Stimmen hinter seiner Tür. Seit Tagen hatte er sein Zimmer nicht mehr verlassen. Er faltete das Papier zusammen. Er wusste, wer da gekommen war. Sein altes Herz, das unter großen Mühen das Blut durch seine Adern pumpte, drohte ihm den Dienst zu versagen. Aber er klammerte sich an das Leben und dankte dem Himmel für diesen Aufschub, der es ihm erlauben würde, sein Gewissen zu erleichtern, bevor er zu Marion einging.
Im Haus war es wieder still geworden; die Minuten verstrichen. Kurz glaubte er schon, Alexander sei wieder gegangen. Panik ergriff ihn, und er wollte aufstehen. Doch seine Beine trugen ihn nicht, und er brach stöhnend auf dem Boden zusammen.
»Verflucht!«
Ein heller Lichtstrahl fiel in den Raum und wies direkt auf ihn. Mit einem Mal fühlte er sich leichter. Sanft hoben ihn kräftige Hände auf und setzten ihn wieder auf den Stuhl neben seinem Bett. Er betrachtete die Hände, die sich an ihm zu schaffen machten. Sie waren groß und rau und trugen die Spuren eines harten Lebens. Männerhände, die er nicht wiedererkannte. Er unterdrückte ein Schluchzen.
»Herrgott!«
Als er diese Hände zum letzten Mal in seinen gehalten hatte, waren sie noch rundliche, weiße Kinderhände gewesen, an denen kein Blut klebte. Er klammerte sich an der Weste seines Sohnes fest und weigerte sich, ihn loszulassen, denn er hatte Angst, er könne wieder verschwinden, bevor er ihm alles gesagt hatte. Vorsichtig sah er zu Alexander auf und zog im Halbdunkel des Zimmers die Augen zusammen.
»Danke, Gott, danke!«
Er erschrak, als er seinem lange erwarteten Sohn ins Gesicht sah. In diesen vom Leben gezeichneten Zügen sah er John und Marion und auch sich selbst. Angesichts der blauen Augen, die ihn anschauten, sagte er sich, dass er seine Reise nicht umsonst
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