Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
zu erheben. Wie auch immer, wir haben alle einen Anteil an der Schuld am Tod von Großvater Liam. Doch das war schon schwer genug für alle, ohne dass ich noch Öl ins Feuer goss. Was mich angeht, so habe ich mir immer vorgeworfen, ihn nicht schneller ins Tal gebracht zu haben. Er hatte zu viel Blut verloren … und…«
Er stieß einen langgezogenen Seufzer aus und ließ sich gegen die Stuhllehne sinken. Merkwürdigerweise sprachen weder seine Züge noch seine Haltung von Zorn oder Groll.
»Ach, Alas! Als Kind bist du derart unberechenbar gewesen! Du hattest wirklich eine Begabung dafür, mich in Rage zu bringen. Warum musstest du dich bloß immer in so dramatische Situationen bringen?«
»Du meinst den Unfall, bei dem Marcy und der kleine Brian ertrunken sind?«
»Hmmm … und die Strafe, die du dafür von mir bekommen hast. Aber … ich weigere mich zu glauben, dass diese Schuld, oder auch die andere, so schwer sie auch auf deinem Gewissen lasten mögen, die Erklärung dafür sind, dass du fortgeblieben bist und dich geweigert hast, zu deinem Clan zurückzukehren, Alas.«
Alexanders Kiefer krampfte sich zusammen. Langsam stand er auf und ging vor Duncan, der ihn aufmerksam und mit bedrückter Miene beobachtete, im Zimmer auf und ab.
»Du hast recht, Vater.«
Regungslos sah er aus dem Fenster. Draußen im Garten unterhielten sich die Kinder damit, Insekten zu fangen. Abwesend betrachtete er die Kornfelder, die sich wie lange grüne Streifen bis zum Waldrand erstreckten. Schließlich wandte er sich erneut seinem Vater zu, ließ sich schwer auf das Bett fallen und seufzte.
»Der wahre Grund ist, dass der vierzehnjährige Junge sich eine Geschichte ausgedacht hatte, Vater …«
Nachdem die ersten Worte heraus waren, fiel ihm der Rest leichter. Wie ein Schiff in Seenot, das seine Ladung über Bord wirft, um nicht unterzugehen, schüttete Alexander sein Herz aus und lud seine Bitterkeit ab. Duncan lauschte dem Bekenntnis seines Sohns und spielte dabei nervös mit Johns Brief, etwas, das ihm zur täglichen Gewohnheit geworden war. Als Alexander zu Ende erzählt hatte, schwieg er einen Moment lang. Dann wiederholte er dessen letzte Worte.
»Ein Soldat aus Pulteneys Regiment …«
»Ja, Vater. Und ich habe all die Jahre geglaubt, John hätte …«
Alexander schluchzte auf und vermochte nicht zu Ende zu sprechen. Stumm schaute Duncan aus müden Augen auf seinen Tartan hinunter und strich mit zittriger Hand darüber.
»Ich habe geglaubt … John sei mir böse und wolle sich für den Tod von Großvater Liam rächen. Er kannte mich zu gut und wusste genau, dass ich dir an diesem Tag ungehorsam war und ohne deine Erlaubnis die Muskete genommen hatte … Und in Culloden habe ich mich auch über deinen Befehl hinweggesetzt und mich in die Schlacht gestürzt, weil ich glaubte, Großvater Liam sehe mich, und ich meinen Fehler wiedergutmachen wollte. Die erste Lektion hatte mir noch nicht gereicht! Was für ein Narr ich war! Ich habe rein gar nichts verstanden!«
»Ein Soldat aus Pulteneys Regiment …« »Vater?«
Besorgt sah Alexander, wie abwesend Duncan wirkte. Sein Vater richtete sich ein wenig auf und sah ihn aus tränenerfüllten Augen an.
»Das war nicht der Soldat aus Pulteneys Regiment.«
Er war sehr blass. Ganz offensichtlich bestürzte ihn etwas. Mit einer Hand knetete er den Brief und mit der anderen sein Plaid.
»Möchtest du ein Glas Whisky, Vater, oder Wasser?«
»Es war nicht der Soldat, Alas …«
»Vater … Ich weiß, dass der Soldat es war. John kann es nicht gewesen sein, da bin ich mir jetzt ganz sicher. Die Kugel kam aus der entgegengesetzten Richtung.«
Duncan schien noch weiter in sich zusammenzusinken. Dieser Mann, der in Alexanders Erinnerungen immer so gewaltig und unverwüstlich war wie der Fels, aus denen die Berge der Highlands bestanden, dieser Krieger, dessen Erzählungen über seine unzähligen Raubzüge auf das Land der Camerons er stolz gelauscht hatte, der Vater, dessen Aufmerksamkeit er immer gesucht und dem er ständig nachzueifern versucht hatte… er war dem Tode nahe.
Tränen liefen über die knittrige, dünn gewordene Haut von Duncans Gesicht und liefen in der tiefen Narbe zusammen, die eine englische Klinge auf seiner Wange hinterlassen hatte … dieselbe Klinge, die 1715 in Sheriffmuir seinen jüngeren Bruder Ranald gefällt hatte. Der Greis hob den Kopf.
»All diese Kriege, all diese Schlachten, um dann in einem Bett aus Scham zu sterben… Ich habe
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