Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
schritt dann über mehr oder weniger begehbare Wege, die über steiles oder schlammiges Gelände führten, bis er die Stelle erreichte, an der man nach einer kurzen Inspektion die Kanus erneut zu Wasser ließ. Manchmal beluden sich die Voyageurs als Herausforderung oder um eine Wette zu gewinnen noch mit einem zusätzlichen Ballen. Sheldon Kilpretin, der den Beinamen »der Ire« trug, vollbrachte die Bestleistung der Mannschaft, indem er eine Last von mehr als zweihundertfünfzig Pfund über die ganze Länge der Portage von Grand Calumet trug.
Die unglaubliche Anstrengung, die es Alexander kostete, seine Last zu schleppen, verschaffte ihm die notwendige Wärme, die er bei der plötzlichen Kälte des Umladens gut gebrauchen konnte. Wenn er wieder im Kanu saß, hatte ihm das zwangsläufige Bad in dem eiskalten Wasser neue Kraft geschenkt, um unter dem Absingen von À la claire fontaine 21 oder C’est l’aviron qui nous mène 22 erneut sein Ruder ins Wasser zu tauchen.
Gelegentlich reichte es, die Kanus »à la cordelle« zu transportieren, was weniger mühsam war. Dabei wurden die Kanus mit Tauen die Stromschnellen hochgezogen. Man musste die Boote sehr vorsichtig zwischen den Felsen hindurchmanövrieren, und trotz allem rissen sie sich unfehlbar den Rumpf an den spitzen Steinen auf, die sich in den Wasserwirbeln verbargen. Dann musste man sich die Zeit nehmen, sie mit Watap 23 und Kiefernharz, das man mit Hilfe einer Fackel schmolz, zu reparieren.
Wenn die Stromschnellen nicht allzu wild waren, kam es vor, dass sie ihnen aus reinem Übermut trotzten. Nach einem kurzen Gebet stürzten sich die Männer, das Ruder fest in der Hand und die Muskeln angespannt, entschlossen hinein. Der entfesselte Fluss donnerte in seinem Bett und übertönte alle Naturgeräusche der Umgebung. Doch jeder hörte seinen eigenen Herzschlag fast genauso laut wie den lärmenden Pulsschlag des Flusses.
Das tobende Wasser ergoss sich über die Männer, spottete ihrer wirkungslosen Ruderschläge und machte sich über sie lustig, indem es sie bis auf die Knochen durchnässte. Es blendete sie mit weißer Gischt, die ihre Kanus heftig durchschüttelte und drohte, sie jeden Moment zu verschlingen. Doch die Männer steuerten ihre Boote geschickt, ritten hartnäckig diesen wütenden Strom und trugen schließlich die Oberhand über den Fluss davon, der sich für unbesiegbar hielt.
Der Wagemut, den sie an den Tag legten, um so rasch wie möglich gen Westen voranzukommen, wurde bei Einbruch der Nacht belohnt, wenn sie anhielten, um sich auszuruhen. Dann baute man rasch das Lager auf, zündete Fackeln an und überprüfte die Birkenrinden-Boote, um sie wenn nötig auszubessern. Bald wurde der Schweißgeruch der Männer von dem Duft des ewigen Erbsen- oder Maisbreis überlagert, der durch die Zugabe von Schweinespeck oder Schmalz genießbarer wurde.
Nach der Anstrengung schmerzten Rücken, Hals und Arme. Alexander ließ sich gegen einen Baumstamm sinken, rauchte seine Pfeife oder trank Rum. Oft gesellte der Hollandais sich auf eine Lesestunde zu ihm, die er immer häufiger abkürzte, um ein wenig zu plaudern. Doch keiner der beiden kam noch einmal auf den Schatz zu sprechen. Das war besser so. Später am Abend lauschte Alexander den Geschichten seiner Kameraden, die reihum von ihren Abenteuern berichteten oder Geschichten aus den Wäldern erzählten, bei denen einem das Blut gefrieren konnte.
»… Und seine Augen, die so schwarz wie Kohle waren, glühten auf, als er in das Fleisch biss!«
Aus dem Dunkel ließ sich die Stimme von le Revenant vernehmen, dem alle ehrfürchtig lauschten.
»Es war entsetzlich! Die Schreie der Wilden hallten durch die Nacht und klangen wie ein Rudel Wölfe. Sie waren wie vom Wahnsinn ergriffen, tanzten, folterten, sangen, aßen und trieben Unzucht. Eine Orgie, kann ich Euch sagen! Eine Vision aus der Hölle!«
»Ohhh!«
Der Mann, den sie »le Revenant«, den Wiedergänger, nannten, trug seinen Namen zu Recht. Inzwischen wusste Alexander, dass er Hébert Chamard hieß und mehr als fünfzehn Jahre Erfahrung als Voyageur hatte. Er war einmal in die Gefangenschaft der Onondaga-Irokesen geraten, einem Volk aus den Bergen, das sich selbst auch »Hüter des Feuers« nannte. Er hatte ihre Martern erlitten und trug noch immer die Narben.
»Oh ja! Das sind wirklich Teufel! Sie fressen Menschenfleisch«, verkündete er düster und zeigte seine rechte Hand vor, an der zwei Finger fehlten. »Sie haben mir die Finger einen nach dem
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