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Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie

Titel: Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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anderen abgeschnitten, wohlgemerkt, nachdem sie mir zuvor die Nägel ausgerissen hatten. Dann haben sie sie vor meinen entsetzten Blicken gebraten und den Kindern zum Essen gegeben. Diese Wilden nähren ihre Sprösslinge mit Menschenfleisch, Freunde!«
    Mit einer theatralischen Bewegung, die sein Publikum vor Entsetzen erstarren ließ, nahm er seine eiserne Nase ab und enthüllte eine düstere Öffnung an der Stelle, an der sich dieses Organ einmal befunden hatte. Um das makabere Schauspiel zu vervollständigen, zog er dann seinen verbeulten Hut herunter, und Alexander konnte sich eines Ekelschauers nicht erwehren, als er den skalpierten Schädel des Revenant erblickte. Zugleich empfand er Bewunderung für den Mann. Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass jemand eine solche Marter überleben könnte.
    Le Revenant bückte sich, damit alle gut sehen konnten, und machte die Runde unter seinen Gefährten. Manche wagten es sogar, einen Finger auf die dünne, glänzende Haut zu legen, unter der das zarte Netz der Blutgefäße zu erkennen war. Der junge Chabot, durch Dutzende von Insektenstichen entstellt, war kreidebleich geworden und schwankte auf seinem Platz gefährlich. Jo-mé, der seinen Zustand bemerkte, wies ihn an, den Kopf zwischen die Beine zu stecken, damit seine Übelkeit verging. Doch vergeblich, der arme junge Bursche gab sein Abendessen von sich, sodass der üble Gestank nach Erbrochenem sich mit allen anderen Gerüchen mischte, die sie bereits umschwebten.
    »Warum bist du noch am Leben?«
    »Eine Squaw hat mich aus meiner Not gerettet, mein Guter«, erklärte der Revenant und lächelte spöttisch. »Zweifellos war sie beeindruckt von meiner Männlichkeit, die man mir gerade abschneiden und in die Suppe werfen wollte, und hat verlangt, man solle mich freilassen.«
    »Eine Squaw kann über das Leben eines Mannes entscheiden?« , fragte Josiah Corbin erstaunt.
    Die dunkelgrauen Augen des Revenant richteten sich auf den hugenottischen Geistlichen.
    »Ich muss feststellen, dass Ihr Euch nicht gut mit den Sitten und Gebräuchen der Wilden auskennt, mein Freund. Die Irokesen hören auf die klugen Worte der Frauen. Sie haben das Recht, über Leben und Tod eines Gefangenen zu entscheiden, der für den Tod ihres Ehemannes oder eines ihrer Söhne verantwortlich ist. Eines Sommerabends im Jahr 1756 sind zwei andere Voyageurs und ich, kurz nachdem wir Fort Presqu’Île 24 verlassen hatten, einigen Wilden begegnet. Einer meiner Kameraden wurde getötet und skalpiert, der andere konnte fliehen. Ich selbst hatte einen Messerstich in die Leiste abbekommen und stellte mich tot. Ich dachte, sie würden gehen, und ich käme auf diese Weise davon. Welch ein Irrtum! Sie haben mich am Schopf gepackt, und ich habe geschrien. Als sie sahen, dass ich noch lebte, haben sie mich auf einer Trage in ihr Dorf gebracht. Bevor ich verwundet worden war, hatte ich einen ihrer Leute getötet. Ihre Gesetze schreiben ihnen vor, Blutrache zu üben, und sie hatten vor, mich ihren abscheulichen Martern zu unterziehen und mich meinen Todesgesang singen zu lassen, damit mein Geist gen Himmel aufsteigen konnte. Und ob ich gesungen habe, meine Freunde! Was für ein Lied! Versucht euch vorzustellen, welche Schmerzensschreie ihr ausstoßen würdet, wenn man euch eine glühende Kohle auf die Fußsohle drückt oder euch mit einem weißglühenden Messer die Schenkel aufschneidet. Stellt euch vor, wie euch der Geruch eures eigenen bratenden Fleisches in die Nase steigt und sich euer Magen umdreht! Stellt euch diese halbnackten Wilden um euch herum vor, blutrünstig, wahnsinnig, die Freudentänze um euch veranstalten wie um ein saftiges Schwein, das sich am Bratspieß dreht. Ich war für sie wie ein Schwein, Freunde«, erklärte le Revenant mit tiefer, schauriger Stimme, »ich war ihr Abendessen.«
    »Aber dank deines … prachtvollen Organs bist du nur von einer einzigen Squaw verschlungen worden!«, rief Aunay und schlug sich auf die Schenkel. »Was für ein schönes Ende!«
    Alle brachen in Gelächter aus, die Stimmung entspannte sich, und die Fröhlichkeit kehrte zurück.
    »Das war’s!«, verkündete le Revenant breit lächelnd.
    Er setzte sich den Hut wieder auf den kahlen, von einem schmalen roten Haarsaum umgebenen Schädel, band die Lederschnur, die seine falsche Nase hielt, erneut fest und verabschiedete sich mit einer kleinen Verneigung von seinem Publikum.
    Von diesem Abend an betrachtete Alexander seinen Kameraden mit dem

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