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Hikikomori

Hikikomori

Titel: Hikikomori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Kuhn
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das immer sagst. ich möchte sie nicht mehr dem einfluss anderer aussetzen.
    seit zwei wochen bin ich nun hier. die sonne wird gleich aufgehen, ich habe angst, mir die hose überzustreifen, zum popperbrunnen zu gehen und dich dort anzutreffen. von oben bis unten eingeschneit. blaue lippen. ich traue dir das zu. till.

5
    Till fährt mit der Hand ins Wasser und zieht eine Bierflasche heraus. Das Wasser schwappt gleichmäßig an den Rand der Badewanne, von Tills Arm tropft es auf den Boden. Das Etikett der Bierflasche ist so glitschig, dass er es leicht abziehen und zu den anderen an den Spiegel kleben kann. Auf der Ablage stehen, dicht an dicht: Cremetuben, Haarspray, Deodorant. Till sprüht sich ein, fährt sich durchs Haar, verstrubbelt es kreuz und quer. Das kantige Kinn hat er vom Vater, die Grübchen von der Mutter, das rot-schwarz karierte Hemd von seiner Schwester letzten Sommer aus England mitgebracht bekommen. Viele schwarze Knöpfe, alle bis oben hin geschlossen. In England trage man das so, hatte sie gesagt, die seien so steif wie er. In ein Kostüm eingeschnürt, denkt er, nichts anderes.
    Das Wohnzimmer ist leer geräumt, an der Decke kreist eine Lichtscheibe, wirft runde Farbflächen auf die sich bewegenden Körper. Aus einem Boxenturm tönt träger Dubstep. Die meisten tanzen in kleinen Kreisen, scheinen sich auf ein paar Bewegungen geeinigt zu haben. Von Song zu Song variieren sie leicht. Passt ihnen der nächste Titel nicht, bleiben sie stehen, trinken aus der Flasche, fahren mit den Fingern über die Displays ihrer Smartphones oder tasten sich nach Zigaretten ab.
    Die Kulisse der Party sind an die Wand projizierte Zombiefilme. Auf Matratzen sitzen die Zuschauer Schulter an Schulter, hohe Popcornbecher vor sich auf den Schößen. Vor der Gästetoilette eine lange Schlange Mädchen, die Jungs pinkeln in die Grundstückshecke, ins Bad gehen sie nur, um sich Alkohol-Nachschub zu besorgen. Überall stehen Menschen in kleinen Gruppen zusammen, immer ist einer von ihnen der Mittelpunkt des Geschehens, wie in einem Sonnensystem, wo fahle Planeten um die strahlende Sonne kreisen, mal näher am Glanz, mal weiter entfernt. Lilith da drüben ist so eine Sonne, ihre schmale Nase, die hohe Stirn, das wirklich hübsche Lächeln. Sogar der Rechner und die Leinwand sind Sonnen, glühende Sonnen. Und natürlich Jan.
    Till zieht es von Gruppe zu Gruppe, sie erkennen und umarmen ihn, öffnen ihre Kreise zum Einreihen. Er lauscht den Gesprächen, sucht mit tauglichen Sätzen den Einstieg, hängt sich mit aller Konzentration an die Lippen der anderen, um nicht gedanklich abzuschweifen. Sie reden über Spickzettel in Slips, über All-around-the-World-Tickets und eine frühere Party, wo Wurst auf den Teppich gekotzt hat, was alle zum Lachen bringt, weil der Teppich von irgendeiner Oma als einziges Erbstück hinterlassen worden war. »Wir sind ja eh vernetzt«, sagen sie, wenn die Zeit nach den Prüfungen zur Sprache kommt.
    Das Zuhören gelingt ihm nicht lange, wenn Oskar ihn morgen fragt, wird er nicht wiedergeben können, über was gesprochen wurde. Stattdessen betrachtet er über die Köpfe hinweg die kreisrunden Farbflächen, wie sie über die Kulisse tanzen. Die Gruppen strömen auseinander, wie ein zerplatzender Wasserballon, und schließen sich zu neuen Systemen zusammen. Till ist kein Planet, nicht einmal der Zwerg Pluto ganz am Rande, diese Stellung haben andere. Till möchte ein Komet sein. Ein Komet, der kurz das Sonnensystem kreuzt, in ihre Laufbahnen eindringt, gellend aufblitzt, dann erlischt.
    »Ende Januar kommen die ersten Weißstörche«, sagt Till. »Die sind die Vorboten der Kiebitze.«
    Unter der neuen Gruppe ist auch Jan. Sie halten inne und schauen ihn verdutzt an.
    »Hey, Till.« Jan hält ihm eine Flasche zum Anstoßen entgegen. »Schön, dass du’s gepackt hast! Ich hab dich noch gar nicht gesehen, wo warst du denn?«
    »Im Garten, pissen.«
    »Hast du mitbekommen, wie der Wurst kopfüber in den Teich gefallen ist? Er behauptet, er sei geschubst worden, hat sich zumindest an irgendwas aufgeschlitzt, der Mittelfinger ist halb ab!« Jan reicht ihm sein Bier und beginnt zu der nun laufenden trockenen Housemusic das Gewicht gekonnt zu verlagern. Die Musik ist jetzt auch merklich lauter. Till bleibt zwischendurch immer wieder regungslos stehen und schaut die anderen eindringlich an.
    »Ist Kim nicht da?«, fragt Till.
    »Vergiss die«, sagt Jan. »Für Party ist die eh nichts!«
    Ein Mädchen fällt

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