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Hikikomori

Hikikomori

Titel: Hikikomori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Kuhn
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wärmer, die Unbekannten lachen metallisch. Das Mädchen ist nackt, in ihrer Scheide steckt eine Cremetube. Till schlüpft aus dem Bad und stolpert über den im Gang liegenden Wurst, der sich den an wenigen Hautfetzen baumelnden Mittelfinger hält. Blut überall. Das Wohnzimmer platzt aus allen Nähten, Schweiß tropft von der Decke auf die Körper, alle paar Meter stößt Till mit jemandem zusammen, ein Knistern, als würden sich die aufgeheizten Körper wie im Raum kollidierende Kugelblitze aneinander entladen. In der Hand hält er Smartphones, die ihm in Zeitlupe aus der Hand fallen, aber Stunden brauchen, um von den Füßen zertrampelt zu werden. Da taucht vor ihm Liliths schmale Hüfte auf, ihre strahlenden, grünstichigen Augen, die von Sekunde zu Sekunde höher werdende Stirn, die Arme in einem fließenden Auf und Ab. Er steht dicht vor ihr, beinahe Mund an Mund, kann ihren säuerlichen Atem riechen. Sie fasst ihn an, er umgreift ihre Hüfte. Jan steht regungslos daneben, schaut zu, wie sie ihm über die Hand streichelt, seinen Finger nimmt und tief in ihren Rachen steckt. Um die beiden schließen sich die Körper eng zusammen, aus den Boxen vibriert eine verzerrte Stimme bis tief in die Körper der Umstehenden. Till singt lautstark mit. »Dein Spanisch tropft wie Honig aus deinem Maul!«, sagt Lilith euphorisch. – »Es ist schön, wie du Maul sagst, das mag ich.« Till drückt Jan seine Bierflasche in die Hand, packt Lilith an der Hand und zieht sie durch die Tanzenden zur Treppe.
    Zwei, drei Meter vor ihm nimmt Lilith Stufe um Stufe, ihr Po wiegt hin und her. Sie passieren auf den Treppenstufen kauernde, übereinanderhängende Paare, die es nicht in eines der Zimmer geschafft haben. Ihm pumpt das Blut weiter in alle Körperteile. Till stößt eine Tür auf und schubst sie auf das Bett. Während sie sich umständlich entkleidet, starrt Till auf kurze, karierte Pfadfinderinnenröcke.

6
    Brennende Augen, ein Stich in der Brust, Haare an der Haut klebend, vor mir die spiegelnde Keramikschüssel. Meine Finger verkrampfen um den Toilettenrand, als fürchtete mein Körper, ich könnte einen steilen Hang hinabrutschen, im Wasser drehen sich grobkörnige Klumpen und Schlieren um ein imaginäres Zentrum. Es riecht nach Kaffee, der Magen hängt mir bis zum Boden, mein Blick ist wie mit Karamell lasiert. Mit dem Warten auf das befreiende Erbrechen treiben auch die Bilder von der Party wieder an die Oberfläche. Ich sträube mich dagegen, dennoch sehe ich mich durch den dunklen Garten der Reicherts staksen, ich weiß nicht, was es ist, das mich da treibt. Ich pisse eine Acht ins Forsythienbeet, vor dem Teich steht Wurst, den Penis in der Hand. Es plätschert, irgendwas steigt bei diesem Geräusch in mir auf, so dass ich schneller als er den Reißverschluss hochziehe und ihn von hinten wuchtig in den Rücken trete. Das Platschen und Schreien höre ich schon nicht mehr. Ich taste nach der Spülung, ein Strudel verschlingt den Magenschleim. Der Magen wird sich hoffentlich weitere Male entleeren, im Wohnzimmer Sonntagsbrunch, bei mir pochende Kopfschmerzen. Das ist Leben, denke ich mir, leer und vergiftet herumstehen, sich gar nicht mal schlecht fühlen. Nur etwas sinnlos. Ich fülle das Waschbecken mit Wasser und tunke das Gesicht hinein, spüle den Mund, pruste durch die Nase. Im Spiegelbild sehe ich Tränen herunterrinnen. Die Zigarette glimmt noch in der Seifenschale, ich versuche einen Zug. Wieder dieses Stechen, dazu säuerlich aufstoßende Übelkeit. Ich krempele mir das T-Shirt hoch und überprüfe die violett gefärbte Partie – beim Drücken ein dunkler Schmerz. Das Mädchen hatte einmal wild um sich geschlagen, als sie die Tube zwischen ihren Beinen spürte. Ich sehe Hände, die sie festhalten, ich weiß nicht, ob es meine sind, ob ich auch bei ihr ein- und ausfahre. Ein Zug an der Zigarette schmeckt nach verbrannter Erde, lässt mich husten, weil ich mich am Raucherdklumpen verschluckt habe, röcheln, weil der Klumpen die Luftröhre verstopft, vor die Schüssel knien und den Mund weit aufsperren, weil mir nichts anderes übrig bleibt. Wie ein Hund, der zu viel Gras gefressen hat und nun würgen muss, bis die Vergiftung ausgespien ist. Aber es kommt einfach nichts mehr. Ich sehe, wie Jan da unten im Wohnzimmer steht und uns hinterherwinkt. Winkt er wirklich? In der nächsten Einstellung schon reitet das Mädchen auf mir, in der übernächsten bereits steht Jan in der Tür, es ist sein Zimmer, und er winkt und

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