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Hikikomori

Hikikomori

Titel: Hikikomori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Kuhn
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der Essenszufuhr und Zuneigung des Wirts abhängig. Und der Wirt wird dadurch koabhängig, weil er das Essen stellt und dadurch das parasitäre Leben erst ermöglicht! Reichert nennt das eine klassische Eusymbiose.«
    »Bist du jetzt völlig übergeschnappt?! Wir reden hier von unserem Sohn und nicht von einem parasitären Insekt!«
    Anna-Marie ist im Wohnzimmer erschienen, in der Hand den Tablet-Computer. Die Haare sind verstrubbelt, ihr Körper verschwindet beinahe im zu langen Pyjama. Dennoch wirkt sie hellwach.
    »Ach, Ann, haben wir dich geweckt«, sagt Karola mit süßer, verstellt wirkender Stimme.
    »Ich habe gegoogelt«, sagt Anna-Marie und legt das Gerät auf den Tisch. Die Eltern nähern sich bedächtig, als wäre der Boden aus Glas und zerbrechlich. »Du muffelst«, sagt Anna-Marie zur Mutter gewandt, aktiviert dann in einer Bewegung das Display. Ein Videofenster vergrößert sich und das Video startet. In sehr schlechter Qualität ist die Aufnahme eines spärlich beleuchteten Zimmers zu sehen. Es muss mit einem Smartphone aufgenommen worden sein, das Bild wackelt sehr, ein nur vager Lichtschein geht von dem Gerät aus. Dazu kommentiert eine japanische Stimme im Flüsterton wohl das zu Sehende. Die Wände sind mit Eierkartons isoliert, an der Decke verlaufen Unmengen Kabel, das Fenster ist mit knittriger Alufolie verhangen. Auf dem Boden häufen sich Manga-Zeitschriften, zerknüllte Taschentücher und Beutel voller Dreck, so dass der Filmende von Insel zu Insel über den Müll hinwegbalanciert. Abrupt bricht das Video ab, erscheint die Option, weitere derartige Videos anzuklicken.
    »Mehr nicht?« Karola schaut spöttisch die Tochter an. »Das kann ja alles sein: Hätte ich zum Beispiel früher mal dein Zimmer gefilmt, wärst du auch nicht besser weggekommen.«
    »Mama, hör auf!«
    Oskar reibt sich über die Wange, wirkt nachdenklich: »Und wie nennen sich die?«
    »Hikikomori«, sagt die Schwester mit einem Anflug von Stolz. »Meine Diagnose für Till.«
    »Das ist ja mal ein Ansatzpunkt«, sagt Oskar. »Und was haben die vor, planen die irgendwas? Amokläufe?«
    »Mach dich nicht lustig, Papa.«
    »Danke«, mischt sich Karola ein. »Anna-Marie, du hast uns sehr geholfen, jetzt kannst du wieder ins Bett.«
    Anna-Marie scheint das ernst zu nehmen, klemmt den Tablet-Computer unter den Arm und tippelt davon.
    Karola wartet, bis sie die Tür bis auf einen schmalen Spalt hinter sich zugezogen hat. »So ein Schwachsinn«, sagt sie. »Diese ganze Internet-Diagnose-Scheiße! Würde da auch nur ein Hundertstel zutreffen, könnten wir uns gleich erschießen!«
    Oskar zuckt mit den Schultern, gähnt langgezogen, bis sein Kiefer knackt, als sei vorerst alles zu diesem Thema gesagt.
    Karola hat die Fäuste geballt. »Ich rede jetzt mit ihm.«
    Oskar zuckt erneut mit den Schultern, rückt sich das Schweißband zurecht. Während sich Karola vor Tills Tür hinkniet, beendet Oskar stoßartig atmend seine Übungseinheit auf der Trainingsmatte: Sit-ups, Liegestützen, Sit-ups.
    »Hey, mein Junge.« Ihre Hand hat sie an die Tür gelegt. »Ich bin’s, Karo.« Keine Regung ist aus dem Zimmer zu vernehmen. »Ich will dir sagen, ich stehe zu einhundert Prozent hinter dir. In deinem Alter und in einer so fordernden Welt, die euch wirklich viel abverlangt, hätte ich bestimmt das Gleiche getan. Ja, die Tür hinter sich zuziehen, sich nicht mehr nach dem Außen richten zu müssen, das ist es doch, nicht wahr? Nur, mein Junge, langsam nimmt dein Verhalten bedenkliche Ausmaße an. Oskar sagt, du solltest mal an deinen Körperhaushalt denken. Vergiss nicht, der Mensch, vor allem der wachsende, braucht gewisse Nährstoffe. Ich weiß, du denkst, du bekommst doch alles, das gesunde Essen würde das ausgleichen. Aber Nährstoffe müssen auch aus dem Sozialen kommen, verstehst du? Das ist auch eine Zutat, die man sich einverleiben sollte. Ich sage sollte , ja? Weil das auch nur eine mögliche Lebensform ist, ja? Das denkst du doch. Wer sagt denn, dass es so sein muss, dass man in die Welt integriert sein muss, Freunde und Familie hat. Das wäre eine der möglichen Welten. Ja? Du hast eine andere gewählt, Till. Du hast mir gezeigt, dass du das kannst. Ja?« Sie wartet einen Augenblick, gibt ihm Zeit zu antworten. »Jetzt aber, mein Junge, denke ich doch, kannst du sie uns zeigen. Alles, was du eben entwickelt hast in deiner Welt, das kannst du doch mit uns teilen, Oskar und auch deine Schwester würde das wirklich freuen! Oder Jan, ich

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