Hilfe, die Googles kommen!
zum Beispiel auf YouTube oder in Kommentarbereiche auf Newssites begibt, in denen man die netzübliche Anonymität pflegt, wirkt diese Möglichkeit, inkognito zu posten, auf die User wie der Vollmond auf den Werwolf. Dort lassen diese »Webwölfe« dann unter den Synonymen »hasshasshass«, »weltschmerz76« oder »knödelnase88« ihrem Unmut auf alles und jeden freien Lauf. Mit bemerkenswerter Energie stürzen sie sich auf die Kommentarfelder und hinterlassen konstruktive Botschaften wie »Geh stinken!«, »Sackarm!« oder »Wie behindert ist das denn?«
Sachliche Gegenargumente oder die freundliche Bitte, man möge doch kurzfristig das Zeitliche segnen, wirken wie Brandbeschleuniger in einer eh schon entflammten Debatte, die außer verbalem Schutt und grammatikalischer Asche am Ende nichts zu bieten hat. Googelt man diesen Störenfrieden, im Netzjargon »Trolle« genannt, hinterher, sieht man häufig, dass sie eine Spur der sprachlichen Verwüstung im gesamten Internet hinterlassen haben. Florierende Diskussionen ziehen diese Trolle an wie das Licht einer Straßenlaterne nocturne Insekten. Dort fallen sie ein, bis an die Zähne bewaffnet mit messerscharfen Worten wie »Gähn!«, »Laaaaangweilig!«, »Deine Mutter!« und denken einfach nicht mehr daran, sich zu trollen, diese Trolle!
Wer sind diese Menschen, die es einfach nicht schaffen, auf stern.de, spiegel.de, taz.de, tagesschau.de oder eben auf YouTube die allzu weißen Kommentarfelder unbefleckt zu lassen? Ich habe eine Theorie, die zwar der wissenschaftlichen Überprüfung bedarf, aber absolut schlüssig ist:
Es handelt sich hautsächlich um Kerle, die entweder Hans-Christian oder Fürchtegott heißen – oder zumindest so aussehen. Hans-Christian ist vor meinem inneren Auge Mitte dreißig, Single, Katzenfreund, Hundehasser, arbeitet auf dem Ordnungsamt in der Abteilung Leinenpflicht und wohnt noch bei seinen Eltern. Um dem Elend der eigenen Existenz etwas entgegenzusetzen, verbringt er nach Feierabend die Zeit vor seinem Rechner. Bevor er loslegt, lässt er sich von Mutti noch eine Stulle schmieren, und dann sitzt er, nur mit einer Feinrippunterhose bekleidet, in seinem überheiztem Dachzimmer auf einem schwarzen Bürostuhl. Seine Aufgabe in der Welt ist es nun, Anarchie zu verbreiten, und so schreibt er couragiert und tollkühn anonyme YouTube-Kommentare. Sein Username ist megadevilfucker662 144 . Mit diesem Kampfnamen ist Hans-Christian nichts weniger als die Online- RAF . Jawohl, er ist kein Surfer, sondern ein Baader.
Er ist der fiese Marder im Motorraum des Internets und beißt die Bremsschläuche durch. Seine Strategie ist es, nicht ÜBER brennende Themen zu schreiben, sondern DARUNTER . Er erschafft nicht, er zerstört, und anstatt etwas Eigenes hochzuladen, schreibt er lieber etwas anderes runter. Zwischendurch bastelt er sich Fotomontagen: Pin-up-Fotos von Sahra Wagenknecht. Nicht, weil sie seine politische Meinung vertritt. Nein, erstens hat er keine, zweitens weiß er nicht mal, in welcher Partei sie ist, aber er mag die Wagenknecht – einfach weil sie so schön »evil« ist.
Natürlich war Hans-Christian nicht immer so. Früher machte er sich noch die Mühe, sinnvolle Argumentationsketten zu posten. Als das nur für geringe Aufmerksamkeit sorgte, schaltete er auf Provokationen um, und siehe da: Die Menschen hörten ihm zu. Nicht gerne, aber sie reagierten.
Die Entwicklung zum Troll beginnt aber früher, zumeist in der Pubertät. Dafür habe ich sogar Belege. Seit ich hin und wieder auf YouTube publiziere, kristallisiert sich für mich eine weitere Spezies Störenfriede heraus: pubertierende Buben, die, von der Frauenwelt ignoriert, neben Selbstliebe, Deutschrap und Gaming ihre überschüssige Freizeit dem Verfassen despektierlicher Kommentare auf Videoportalen widmen. 145 Ich höre nun schon die Klischeepolizei vor meinem Haus rufen: »Tobias Mann, kommen Sie mit erhobenem Laptop heraus. Wir haben Sie umzingelt.« Das Tolle an Klischees ist aber doch, dass sie meistens einen wahren Kern haben.
Wie oft habe ich die YouTube-Profile der Trolle angeschaut und fand neben dem Hinweis »Alter: 16« eine Favoritenliste mit Videos von Kool Savas, B-Tight und Fler und ein paar Trailer für neue Ego-Shooter. Wehret den Anfängen, sage ich da und kann nur den Frauen die Verantwortung für eine bessere Online-Welt übertragen. Ja, der Kern des Problems ist meines Erachtens die Absenz des Weiblichen im Leben des Trolls. Wenn keine Partnerin da
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