Hilfe, die Googles kommen!
das hält, was uns Arnold Schwarzenegger in »Total Recall« versprochen hat. Gut, die Handlung des Films spielt erst im Jahr 2084. Bis dahin kann ja noch einiges passieren.
Fensterln unter Windows
Es ist von höchster Wichtigkeit, stets das »richtige« Chatfenster zu kennen. Im Prinzip kehrt damit die fast vergessene Tradition des »Fensterlns« zurück: 141 Auch dabei musste man schon ziemlich genau wissen, an welches Fenster man die Leiter stellte. Sonst landete man nicht im Zimmer der Angebeteten, sondern im schlimmsten Fall im elterlichen Schlafgemach, was zu eher ungewollten körperlichen Konsequenzen führte. Analog dazu gilt es heute, einen Überblick über die Fenster der Kommunikationssoftware zu behalten – egal, ob Sie moralische oder unmoralische Absichten verfolgen. Kein leichtes Unterfangen, da mittlerweile alle Kommunikationswege fast gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Dienstliches und Privates, Wichtiges und völlig Sinnloses buhlt über dieselben Kanäle um unsere Aufmerksamkeit.
Ich fühle mich dabei manchmal wie bei einer großen Familienfeier, bei der während des Fondues der allwissende Opa, die überlaute Tratschtante, der durchgeknallte Großonkel, der altkluge Neffe, die lebensweise Mutter und der pragmatische Vater gleichzeitig auf mich einreden. In diesem Wust den geeigneten, adäquaten Gesprächsfaden aufzunehmen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
So wird unser eigentlich sehr leistungsfähiges Hirn den ganzen Tag an seine Grenze geführt, da man ständig beurteilen muss, welches Gespräch gerade wichtig ist. Anhand des Kanals kann man das heute nicht mehr bestimmen. Früher wusste man, ein Brief oder ein Fax ist wahrscheinlich eher wichtig, während ein Telefonat oder das Getratsche am Gartenzaun eher unwichtig ist.
Die Unterschiede zwischen Telefon, Faxgerät und Gartenzaun sind mittlerweile faktisch aufgehoben. Junge Eltern verlieren sich auf dem Spielplatz heute schon mal in einen tiefschürfenden iPhone-Chat über den neueröffneten Asiaten im Einkaufszentrum, während der Nachwuchs vergeblich versucht, mit der Frage »Darf ich die roten Beeren an der Hecke essen?« durchzudringen. Erst wenn online die Vorzüge des All-you-can-eat-Mittagstisches ausdiskutiert sind, startet der Offline-Gruppenchat mit dem sich auf dem Boden krümmenden Kleinkind und der netten Dame an der Gifthotline des Krankenhauses.
Man verliert den Blick für die wesentliche Kommunikation aber schon lange nicht mehr nur online. Ich bemerke diese Tendenz beispielsweise auch ganz trivial und sehr offline im Supermarkt, wenn die Kassiererin sich während des Kassiervorgangs nicht auf mich, den Kunden, konzentriert, sondern stattdessen mit dem Kassierer an der Kasse nebenan kommuniziert. Die Dienstleisterin hat sich offensichtlich für das falsche Chatfenster entschieden. Ich komme in solchen Momenten nicht umhin, mich benutzt zu fühlen – zum Bezahlvieh degradiert. 142
Ein Fall ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Es war an einem Donnerstagabend um kurz vor 17 Uhr. Während ich durch den Einkauf dreier Fertignudelpackungen und einer Fla sche Maggi das wirtschaftliche Wohlergehen des Supermarktes, ach was, der gesamten Einzelhandelsbranche sicherte, ergingen sich die Kassenkräfte in einem Gespräch über Wochenenderlebnisse, und meine Waren wurden achtlos über den Strichcodescanner gezogen.
»Wir haben gegrillt.« PIEP .
»Gas oder Kohle?« PIEP .
»Kohle natürlich. Muss doch.« PIEP .
»Gas ist viel sauberer.« PIEP .
Was ist nur aus dem freundlichen Gespräch mit dem Kunden an der Kasse geworden?, fragte ich mich, vor allem, weil ich auch gerne meine Meinung zu Gas- und Holzkohlegrills zum Besten gegeben hätte. Menno! Wut über die Geringschätzung meines Einkaufs stieg in mir auf, und als die Kassiererin sich selbst noch beim Bezahlvorgang von mir abwandte, um den Plausch fortzusetzen, platze mir der Kragen.
In Rage griff ich über das Förderband, packte die Dame an der Schulter, drehte sie zu mir und schrie ihr ins Gesicht: »Der große Denker Novalis sagte einst: ›Auf alles, was der Mensch vernimmt, muss er seine ungeteilte Aufmerksamkeit oder sein Ich richten‹, junge Dame!«
Meine Worte zeigten Wirkung. Die Kassiererin blickte mich an – perplex, schockiert, aufgerüttelt. Nach einem kurzen Innehalten, einem Moment des Schweigens, sprach die Maid dann unvergessliche Worte zu mir:
»Ähm … haben Sie eine Payback-Karte?«
Und plötzlich hatte ich wieder das wohlige
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