Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hilfe, die Googles kommen!

Hilfe, die Googles kommen!

Titel: Hilfe, die Googles kommen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Mann
Vom Netzwerk:
mit Auguren der Neuzeit zu tun. Laut Wikipedia waren Auguren römische Beamte, die sich zum Beispiel anhand des Vogelfluges eine Meinung darüber bilden mussten, ob ein Vorhaben die Gunst der Götter haben würde oder nicht. Prinzipiell funktioniert das in der Wirtschaft genauso, womit eine der bekanntesten Rating­firmen eigentlich »Standard & Augurs« heißen müsste. Der Götterwille ist in Zeiten der Herrschaft von König Mammon na­türlich der Wille der Anleger und Kapitalgeber, also der Märkte.
    Und Gott, was sind das für schreckhafte, kleine Götterlein. Wie putzige Häschen und ängstliche Rehlein starren sie mit großen Augen auf die Ratingagenten, die ihrerseits vergeistigt am Strand stehen, einem Schwarm Möwen hinterherschauen, und wenn ein Vöglein Stuhlgang hat, begeistert »A! A!« rufen. Damit wird auf Kotbasis ein Doppel-A-Rating festgelegt, was dafür sorgt, dass immer wieder Scheiße passiert.
    Jetzt erwidern Sie vielleicht »Na ja, Vogelflug und so … Die Typen werden schon auch hochwissenschaftliche Methoden haben, um verlässliche Bewertungen abzugeben.« Tatsache ist, dass im Zuge der Finanzkrise 2008 in den USA die Ratingagenturen aus Angst vor Regressforderungen sinngemäß gesagt haben: »Unsere Ratings sind lediglich Meinungen und stehen nur bedingt in Verbindung mit realem Marktgeschehen.«
    Ha! Stellen Sie sich vor, Ihr Arzt sagt Ihnen: »Wissen Sie, meine Diagnose ist nur eine Meinung und hat mit Ihrer Gesundheit gar nix zu tun.« Absurd, aber das gleiche Prinzip.
    So regt sich alle Welt völlig zu Recht über die Arbeitsweise von Ratingagenturen auf. Und trotzdem raten … Verzeihung … bewerten wir YouTube-Videos über den Reisanbau in Nordchina mit »Daumen runter«, nur weil uns die Asiapfanne vom Vorabend immer noch schwer im Magen liegt. Absurd, aber der gleiche Vorgang.
    Letztlich erhält man durch Internetbewertungen lediglich ein diffuses Stimmungsbild, das wenig bis gar nichts über die tatsächliche Qualität des bewerteten Gegenstands aussagt. Dennoch raten wir, was das Zeug hält, weil man uns von allen Seiten zuruft: »Bewerte hier! Rate da! Urteile dort!« Dabei stehen wir eigentlich ahnungslos am Strand und warten, bis der nächste Möwenschwarm auf Verdauungsflug vorbeiflattert.
    Möwen, Wind und Ausscheidungen – mehr Zutaten braucht es auch nicht, um einen schönen Shitstorm 151 zu erzeugen. Bei diesem vor allem dem Internet zugeschriebenen Phänomen wird eine Person oder Organisation mit negativem Feed back aus allen Richtungen bombardiert. Dieses Feedback kann sämtliche Farben und Formen haben und tritt in rauen Mengen auf.
    Damit ist der Shitstorm dem ebenfalls oft zitierten Cyber­mobbing nicht unähnlich, nur dass Letzteres eher auf privater Ebene stattfindet. Ein ausgewachsener Exkrementorkan hingegen spielt sich meist im Fokus der ganz großen Öffentlichkeit ab. 152 Das Ehepaar Wulff, die Piratin Julia Schramm und Günter Grass 153 sind Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit – sie alle standen im Zentrum eines Shitstorms und mussten sich die verbalen Brocken aus dem Gesicht wischen, die ihnen für Tage und Wochen um die Ohren flogen.
    Ist ein Shitstorm gerechtfertigt oder nicht? Nun, das ist von Fall zu Fall verschieden. Wenn ein fleischerzeugendes Unter nehmen Tiere unnötig quält, muss es damit rechnen, von einer Horde blutdurstiger Vegetarier über alle Kommunikations­kanäle attackiert zu werden – und das natürlich völlig zu Recht. Es entsteht eine Symphonie aus Beschimpfungen, ein Konzert aus Verbalinjurien. Das Blöde bei diesem zunächst konzertierten Angriff ist häufig aber, dass irgendwann keiner der Shitstorm-Musiker mehr weiß, wo der Dirigent steht, ob die Noten korrekt sind und welches Lied überhaupt gespielt wird. Es reichen manchmal ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus, um das Empörungszentrum der Netzgemeinde zu kitzeln. Wenn der Sturm erst mal tobt, kann man sich als »Bestürmter« nur warm anziehen, zum Schutz gegen die Unterstellungen unterstellen und warten, bis die Scheiße nicht mehr fliegt.
    Eltern kennen das im Kleinen, wenn sie dem Kind den Schokoriegel an der Supermarktkasse nicht kaufen wollen. »Das ist nicht gesund. Zu viel Fett und Zucker. Und außerdem hattest du schon Gummibärchen« – das mögen gute Argumente sein, die aber auf taube Kinderohren treffen und dazu führen, dass einem auch schon mal der Windelinhalt um die Ohren fliegt.
    Letztlich sind die Impulse hier wie da ähnlich. Man

Weitere Kostenlose Bücher