Hilfe, die Googles kommen!
die Ultraschallfotos an die Großeltern weiterleiten kann, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Dennoch: Sich dem E-Mail-Verkehr zu entziehen, kommt dem Abschrauben des Briefkastens oder dem Schießen auf den Postboten gleich. Umso verwunderlicher ist es, dass wir dieses weltweit selbstverständliche Kommunikationsmittel immer noch nicht im Griff und bisher keine erfolgreiche Strategie im täglichen Umgang damit entwickeln haben.
Einer der Hauptgründe für die Verzweiflung, die E-Mails bei uns Menschen zuweilen auslösen, basiert auf einer ihrer größten Stärken, nämlich der vierundzwanzigstündigen Erreichbarkeit. So toll es auch ist, selbst nach Feierabend Gedanken zu einem Geschäftsprojekt per E-Mail verschicken zu können, so furchtbar ist die Tatsache, diesen Mist auch nach Feierabend empfangen zu müssen.
Natürlich kann man argumentieren, dass ja jeder selbst entscheiden kann, ob er seine E-Mails abends abruft oder nicht. Was ist aber mit privaten Mails, die oftmals über die gleichen Kanäle, von Fall zu Fall sogar über die gleiche Adresse, eintrudeln? Schneidet man sich selbst nach 18 Uhr von sämtlicher E-Mail-Kommunikation ab? Im Zeitalter von internetfähigen Handys ist auch das eine Utopie.
Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang einen Blick auf das gute, alte Telefon zu richten. Hier haben sich im Laufe des letzten Jahrhunderts gewisse Normen entwickelt:
Regel Nummer 1: Man ruft nach 21 Uhr nicht mehr an.
Regel Nummer 2: Dienstliche Telefonate sind am Wochenende verboten.
Musste man aus wichtigen Gründen tatsächlich mal nach neun Uhr abends irgendwo anklingeln, war es Pflicht, das Gespräch unbedingt mit »Entschuldigen Sie die späte Störung …« zu beginnen, sonst bekam man verbal schwerstens auf die Fresse. Dienstliche Anrufe am Wochenende, die einen beim privaten Gartenfest störten, konnten die gesamte Grillgesellschaft schon mal so in Rage bringen, dass der Anrufer zu Hause abgeholt und unter dem Applaus der Passanten mit spitzem Grillbesteck nackt durch die Straßen getrieben wurde. Nicht wenige wurden dann sogar mit Honigsoße garniert und landeten mit einem Apfel im Mund und einer Karotte im Allerwertesten auf dem Rost. Kein Wunder also, dass diese ungeschriebenen Telefongesetze auch heute noch Gültigkeit besitzen. Zumindest meiner persönlichen Erfahrung nach hat selbst die Inflation der Mobiltelefone nicht dazu geführt, dass diese Kommunikationsethik nachhaltig beschädigt wurde.
Ein ähnliches Regelset existiert bei der E-Mail einfach nicht, weil sie ihrer Form nach wohl immer noch dem Brief gleichgesetzt wird. Dabei ist sie in ihrer Unmittelbarkeit doch eher mit einem Anruf zu vergleichen. Einen dienstlichen Brief am Wochenende zu schreiben, ist sowohl für Empfänger als auch für Sender völlig gefahrlos, da der Angeschriebene den Brief sowieso erst frühestens am Montag in der Post hat. Deswegen wird der Absender mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht als Grillgut enden.
Anders bei der E-Mail, die, samstags um 14:07 Uhr abgeschickt, auch spätestens samstags um 14:08 Uhr ankommen wird. Da wäre es doch fast wünschenswert, es würde sich eine Horde Wochenendkannibalen zusammenrotten, um dem eifrigen Samstagsarbeiter mit Apfel und Karotte im Anschlag einen Besuch abzustatten. Mjammjammjam!
Neben der Zustellung in Echtzeit ist demnach vor allem die Trennung von privater und dienstlicher Elektronikpost ein bisher ungelöstes Problem. Das bringt die berühmte Work-Life-Balance empfindlich ins Wanken. Selbst wenn man im E-Mail-Posteingang nach Feierabend seine Pappenheimer, also die dienstlichen Absender, zu übersehen versucht, zwingt einen die Betreffzeile oftmals dennoch zum Lesen. Wer ist schon imstande, eine E-Mail vom Geschäftspartner mit dem Betreff »Insolvenz« einfach mal übers Wochenende zu ignorieren? Schließlich kann man sich das Grillfleisch nun vielleicht gar nicht mehr leisten.
So werden einem in der Freizeit oft Themen aufgezwungen, von denen man sich eigentlich gerade erholen müsste. Leider führt diese Erkenntnis nicht dazu, dass allgemein auf die verwerfliche Mailerei zu Unzeiten verzichtet wird. Stattdessen entscheiden sich viele Menschen, vermutlich aus Rache, ebenfalls auf die dunkle Seite der E-Mail-Kommunikation zu wechseln. Daher ballern wir uns heute, gesellschaftlich akzeptiert, Tag und Nacht, an sieben Tagen die Woche zwar E-Mails um die Ohren, sagen aber bei Anrufen nach 21 Uhr immer noch kleinlaut »Entschuldigen Sie bitte die
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