Hilflos in deinen Armen
nicht?“
In Ullrics kleinen schwarzen Knopfaugen erschien so etwas wie Grauen. Er wusste so gut wie Richard, dass man sich Wimarc besser nicht zum Feind machte. Da konnte man nur auf einen raschen Tod hoffen.
„Er kommt natürlich nicht selber“, fuhr Richard fort, wobei er seine Worte wie eine Waffe einsetzte, die er besonders gut beherrschte. „Der schickt seine Leibwache. Es heißt, die können einen Mann so langsam zu Tode foltern, dass es eine volle Woche dauert.“
„Sie ist zu gut beschützt“, erwiderte Ullric ausweichend. „Außerdem hättet ihr mir sagen können, dass dieser de Boisbaston mitmischt.“
„Kennst du den etwa?“
„Vom Hörensagen. Der Alte hat die Söhne hart rangenommen. Im Kampf sind die unerbittlich. Kämpfen wie die Wilden, sagt man.“
„Der ist aber nur einer, und ihr seid fünfzehn!“, konterte Richard. Hätte Wimarc ihm doch bloß zwanzig genehmigt! Mit fünfzehn hätte er sich nicht zufriedengeben dürfen.
„Wir werden die Sache schon erledigen! Aber wenn ich es sage, und nicht du!“
Stimmengewirr und das Rascheln von Blättern unterbrach sie. Alles sprang auf, als zwei der Feldposten auftauchten. Sie schleppten einen Mann mit sich, blutig geschlagen, die Hände gefesselt.
Richard riss einen brennenden Ast vom Lagerfeuer und hielt ihn hoch, während die beiden Söldner den Gefangenen zu Boden stießen. Dort wälzte Richard ihn mit dem Fuß auf den Rücken.
Es war Dunstan. Wimmernd, die linke Wange grün und blau, die Lippe gespalten und blutend, das rechte Auge zugeschwollen, blinzelte er zu Richard hoch. „Charles“, gurgelte er. „Helft mir!“
Richard lächelte. „Sieh mal einer an, Ullric! Da haben deine Leute ja einen feinen Köder geschnappt.“
14. KAPITEL
Am nächsten Morgen, als der Kaplan die Messe las, stand Gillian neben Bayard in der Burgkapelle. Das kleine Gotteshaus war ganz aus Stein erbaut, mit seitlich angebrachten Stützpfeilern und einem aus demselben grauen Bruchstein bestehenden Altar. Das Altartuch, angefertigt von Gillians Mutter als Teil ihrer Mitgift, bildete immer noch den einzigen Schmuck neben den unumgänglichen Kerzen und der Statue der Muttergottes.
Gillian achtete nur wenig auf ihre Umgebung oder auf Father Matthew. Zum ersten Mal seit dem Tod ihres Vaters hatte sie am Morgen Angst gehabt, ihre Kemenate zu verlassen. Ihr graute regelrecht vor dem Gedanken, Dunstan könne bereits verbreitet haben, was er gesehen hatte, und nun fürchtete sie, ihre Leute könnten sich ihr gegenüber plötzlich ganz anders geben als bisher. Dena hatte sich zwar, als sie das Wasser für die Morgenwäsche brachte, völlig normal verhalten, doch das konnte schlicht daran liegen, dass ihr der neueste Klatsch noch gar nicht zu Ohren gekommen war.
Dann aber hatten auch die Diener und Soldaten im Burgsaal ihrer Herrin so wie immer einen guten Morgen gewünscht. Gillian war erleichtert, aber auch ein wenig verwirrt. Des Rätsels Lösung ergab sich, als sie die Kapelle betrat.
Dunstan war nicht da. Durchaus möglich also, dass er seine Geschichte noch niemandem auf die Nase gebunden hatte. Vielleicht hatte er sich auch bis zur Besinnungslosigkeit betrunken. Oder die Nacht im Dorfe verbracht und den Heimweg noch nicht geschafft.
Ganz gleich, wo er stecken mochte – offensichtlich hatte die Kunde von ihrem schändlichen Verhalten Burg und Gesinde noch nicht erreicht. Es war aber bloß eine Frage der Zeit, bis es die Spatzen von den Dächern pfiffen. Nicht ausgeschlossen, dass ihr eigener Verwalter genau jetzt die Dörfler mit der Geschichte unterhielt. Er konnte auch jeden Moment eintreffen und die Burgherrin öffentlich bloßstellen.
Sie musterte den Ritter, der mit gebeugtem Haupt neben ihr stand und auf den ersten Blick einen zerknirschten, schuldbewussten Eindruck machte. Nur wirkte er beim Gottesdienst immer so lammfromm. Das war ihr gleich beim ersten Mal aufgefallen. Damals hatte sie sich noch gefragt, ob seine Andacht ehrlich war oder ob er damit nur die Burgherrin beeindrucken wollte.
Falls ja, so hatte er ihr tatsächlich imponiert, zumal er nie großes Aufhebens von seiner demütigen Haltung machte. Umso weniger war zu begreifen, wie ein solch gottesfürchtiger Ritter sich zu dem Kuss hatte hinreißen lassen.
Vielleicht hatte er, von Begehren übermannt, einfach den Kopf verloren. So wie sie. Jetzt konnte es sein, dass sie die Achtung, die sie sich mit so viel Mühe erworben hatte, verlor. Und die Zuneigung der Menschen von Averette
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