Hilflos in deinen Armen
hatte.
Er liebte sie seit der Zeit, als sie noch Kinder waren und zusammen spielten, und wenn er mal wieder von Lizette gehänselt wurde, ergriff Gillian Partei für ihn. Als James d’Ardenay dann zu Besuch kam und Dunstan schon fast glaubte, er habe sie verloren, blieb seine Liebe zu Gillian bestehen. Auch wenn sie niemals die Seine werden konnte.
Ja, er liebte sie sogar noch jetzt. Obwohl sie sich von Bayard hatte verführen lassen.
Es war später, viel später am selben Abend. Schlaflos stapfte Bayard in seiner Kammer hin und her, immer wieder, wie ein eingesperrtes Tier. Er hätte, so warf er sich vor, Gillian niemals anfassen, geschweige denn küssen dürfen. Bei Gott! Er hatte damit nicht nur ihren Ruf aufs Spiel gesetzt; nein, in ihren Augen standen auch Scham, Entsetzen und Reue. Als habe er eine schreckliche Untat begangen.
Einmal mehr trat er ans Fenster und blickte hinauf zu den Wolken, die wie geisterhafte Schemen über den Himmel huschten. Ob Dunstan wohl in seiner Kemenate hockte? Schrieb er tatsächlich an seinem angedrohten Brief, in dem er Adelaides Schwester anprangerte und ihn, den Ritter Bayard, als lasterhaften Lumpen zeichnete, schlimmer gar als Adelaides Vater? Möglich aber auch, dass er sich bloß sinnlos volllaufen ließ.
Was sollte Adelaide von ihm denken, wenn sie ein solches Schreiben erhielt? Und Armand erst? Ja, heiliger Strohsack! Dann dauerte es bestimmt nicht mehr lange, bis sein Bruder ihn zur Rede stellte oder ihn gar gleichfalls zur Schnecke machte!
Wahrscheinlich war es das Beste, mit dem Burgvogt zu reden, unter vier Augen, von Mann zu Mann. Solange es noch ging, solange der Kerl nicht allenthalben herumposaunte, was er angeblich gesehen haben wollte. Hoffentlich war es nicht schon zu spät! Er, Bayard, musste ihm versichern, das Ganze sei ein Irrtum, ein Fehltritt, zu dem er sich habe hinreißen lassen. Eine Schande für ihn, ein Frevel, ein Fehler. Er musste diesem Dunstan erklären, er allein übernehme die Verantwortung für diese Tat, um Gillian mögliche Schmach zu ersparen.
Selbst für den Fall, dass der Burgvogt ihm die Erklärung nicht abnahm: Sofern Dunstan sie wirklich liebte, sofern er überhaupt noch irgendwelche zarten Gefühle für sie hegte, musste ihm eigentlich daran gelegen sein, ihr Schimpf und Schande zu ersparen. Dann durfte er eben nicht darauf abzielen, ihren Ruf und ihre Stellung zu zerstören und die Menschen, die ihr so am Herzen lagen, gegen sie aufzubringen.
Was aber, wenn er ihr nicht verzieh? Wenn er den Mund nicht halten wollte?
Dann musste man ihn eben anders überzeugen.
Kurz entschlossen streifte Bayard sich seine Tunika über des Hemd und die Breeches, zog sich die Stiefel an und öffnete die Tür. Die Gemächer des Kastellans lagen im Stockwerk unter den herrschaftlichen Räumlichkeiten und waren direkt vom Burghof aus zugänglich.
Bayard wartete, bis eine dicke Wolke den Mond verhüllte, und huschte zum Eingang von Dunstans Kemenate. Dort klopfte er leise und legte horchend das Ohr an die Türfüllung.
Nichts.
Ob der Verwalter ihn nicht gehört hatte? Vielleicht schrieb er gerade angestrengt an seinem Brief. Oder er hatte sich betrunken und war völlig weggetreten.
Da er keine Lust hatte, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen, drückte er sacht die Tür auf und schlüpfte in die Kammer. Nahezu im selben Moment fiel ein Streifen Mondlicht durch das offene Fenster in den Raum.
Bayard erstarrte wie vom Donner gerührt. Ein solch verschwenderisch eingerichtetes Gemach hatte er im Leben noch nicht gesehen. Allerdings war es gleichzeitig ein einziges Chaos. Kleidungsstücke, Dokumente, Schriftrollen, kleine Schachteln und Stiefel lagen kunterbunt verstreut, offenbar wahllos durcheinandergeworfen. Auf dem Fußboden neben dem Waschtisch, gleich neben einer umgestürzten, geborstenen Truhe, lag ein zerbrochener Krug.
Auf dem Tischchen neben dem Bett fand er Feuerstein und ein Döschen mit Zunder. Damit entzündete er eine Kerze und leuchtete in sämtliche Ecken des Zimmers. Gott sei Dank! Keine Leiche, kein Blut, keine toten Augen, die zu ihm aufstarrten. Vielleicht war jemand, während der Burgvogt sich bei der Erntefeier am Dorfanger aufhielt, hier eingebrochen, um etwas zu rauben. Falls ja – wo war der Verwalter abgeblieben?
Noch einmal überprüfte er das Tohuwabohu, um möglicherweise erkennen zu können, ob etwas fehlte. Auf jeden Fall hatte der Einbrecher Kleidungsstücke mitgehen lassen, vielleicht auch Schmuck aus der
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