Hilflos in deinen Armen
solltet Ihr ebenfalls abreisen, Mylord. Dunstan wird überall erzählen, was hier los war.“
Seine Miene verzerrte sich zu einer grimmigen Maske. „Ich habe es Euch schon einmal gesagt, Mylady: Ich bleibe hier, bis Armand oder Adelaide es anders bestimmen. Darum hat mein Bruder mich gebeten, und diese Bitte werde ich erfüllen. Ich versichere Euch jedoch auf meine Ritterehre: Ich werde Euch nie wieder küssen.“
Sprach’s, drehte sich auf dem Absatz um und stapfte davon.
Gillian blieb im Schatten verborgen zurück, nach Atem ringend, bemüht, ihr rasendes Herz zu beruhigen.
Gott mochte ihr beistehen! Eine Närrin war sie gewesen. Ein willensschwaches, verträumtes Dummerchen, das seinen lüsternen Anwandlungen erlag, obwohl doch so viel auf dem Spiel stand: Dunstans Freundschaft und Rat, der Respekt ihrer Leute, ihre Selbstachtung …
Aufs Spiel gesetzt, und wofür? Für einen Kuss, eine Umarmung? Um sich einmal wie eine begehrenswerte, verführerische Frau zu fühlen? Geliebt und verehrt von einem Mann?
Dabei hatte sie sich für so stark gehalten, für unglaublich resolut! Die Hilfe eines Mannes, seinen Beistand, seine Meinung – all das glaubte sie nicht nötig zu haben. Nur auf Respekt war sie aus gewesen.
Bis sie einem Manne begegnete, der ihr all das gab. Und noch viel mehr.
Aber zu welchem Preis?
Verlor sie die Zuneigung und Achtung ihrer Leute, ging sie ihres Besitzes verlustig, dann blieb ihr gar nichts mehr. Ein Nichts war sie dann.
Diesen Preis war keine Liebe wert. Kein Gefühl, kein Begehren, kein Mann.
Nicht einmal Bayard de Boisbaston.
Benommen, angeekelt, noch völlig unter dem verheerenden Eindruck des soeben Gesehenen, taumelte Dunstan in sein Gemach. Er schloss die Tür hinter sich, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und rang tief durchatmend nach Luft.
All sein Denken drehte sich nur um eins: Gillian in den Armen von Boisbaston. Ständig hatte er dieses Bild vor Augen, wie sie den Ritter küsste, leidenschaftlich und hingebungsvoll, eng an ihn geschmiegt, als wären sie schon ewig ein Liebespaar. Vielleicht sogar vom ersten Tage an …
Nein, ganz unmöglich! Gillian nicht! Das hätte er doch gemerkt … geahnt … mitbekommen …
Und doch hatte sie ihn behandelt wie einen Aussätzigen! Nur weil er sie mal auf seinen Schoß gezogen hatte!
All seine Hoffnungen, all seine Träume – zerstoben, dahin. All jene Pläne, die er geschmiedet hatte, wochenlang, monatelang, jahrelang! Dass er sich eines Tages ihrer Liebe würdig erweisen könne. Eines Tages, so hatte er gedacht, werde er in Gillians Augen sehen, wie sie sich nach ihm sehnte, so wie er sich gleichfalls nach ihr verzehrte. Bis dahin, so seine Berechnung, würden sie über die Jahre genügend Geld beisammen haben, einerseits durch seine sorgsame Rechnungsführung, andererseits durch Gillians sparsames Haushalten. Das würde reichen für ein hübsches Sümmchen, das man dem König bieten konnte, damit er diese Eheschließung genehmigte.
Dann, so hatte sich Dunstan ausgerechnet, würde er Gillian als seine Gemahlin heimführen. In sein Bett.
Und jetzt? Was war das Ergebnis seiner Geduld, seiner sorgfältigen Berechnung, seiner Warterei? Abgeschoben und abgewiesen. Wegen eines gut gewachsenen Ritters mit hübschem Gesicht. Eines Schurken und Feiglings wegen!
Wegen Bayard de Boisbaston.
Im Grunde, so überlegte er nun, musste er sie öffentlich anprangern. Im Burgsaal, vor aller Augen. Im Dorfe auch. Damit jeder erfuhr, was für eine schamlose Dirne die Herrin war. Alle! Dena, die Gillian so bewunderte; das Gesinde im Rittersaal und in der Burg; die Dörfler. Sie alle sollten es hören, dass dieser Boisbaston, dieser Zigeuner-Galan, nichts weiter war als ein Haderlump.
Beide musste er sie brandmarken! Es wäre nur recht und billig. An Adelaide musste er schreiben, so, wie er’s auch angedroht hatte.
Nur … was sollte aus Gillian werden, falls ihre Sünde und Schande öffentlich wurden? Wie mochte Adelaide reagieren? Wie die Dörfler? Womöglich würden sie Gillian zwingen, der Burg den Rücken zuzukehren und sich in Schimpf und Schande in einem Nonnenstift zu verkriechen.
Das wäre ihr Ende. Sie liebte Averette zu sehr … liebte die Heimat so, wie er Gillian liebte.
Ein erstickter Schluchzer entfuhr ihm, gleich darauf noch einer. Langsam rutschte der Burgvogt an der Tür hinunter zu Boden. Das durfte er Gillian nicht antun! Er liebte sie doch! Immer noch – trotz allem, was er gesehen, was sie ihm angetan
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