Hill, Susan
Zeichnungen? Sie sind wunderschön.«
»Von mir.«
»Das wusste ich nicht.«
»Ein Täuschungsmanöver … ›O‹ ist mein mittleres Initial.«
»Die sind wunderschön, Simon. Was machen Sie bei der Polizei?«
»Tja, würde ich Kunst genauso genießen, wenn ich mich ausschließlich damit beschäftigte? Zeichnen hält mich davon ab, verrückt zu werden.« Er ging zu einem weiß gestrichenen Kubus an der Wand, öffnete ihn und nahm eine Whiskyflasche und ein Glas heraus.
»Malen Sie auch?«
»Nein. Zeichnen ist mein Element – ich arbeite mit Bleistift, Tinte und Holzkohle, nie mit Farbe.«
»Wie lange machen Sie das schon?«
»Seit Ewigkeiten. Ich war auf der Kunstakademie, habe aber abgebrochen, da niemand an Zeichnen oder dem Unterricht in Zeichnen interessiert war. Es war eine schlimme Zeit. Alle wollten nur dieses Konzeptzeug. Installationskunst. Das hat mich nie interessiert.«
»Aber warum dann …«, Freya setzte sich aufs Sofa, »die Polizei?«
»Nach der Kunstakademie habe ich Jura studiert, damit ich wegen des Examens schneller befördert wurde. Für mich hat es immer nur die beiden Möglichkeiten gegeben – Zeichnen oder Polizeidienst.«
»Aber Ihre Eltern sind Ärzte.«
»Alle in meiner Familie sind seit Generationen Mediziner. Ich bin das schwarze Schaf.«
»Ich hätte das als erfrischende Abwechslung betrachtet.«
»Meine Mutter hat sich durchgerungen, es inzwischen zumindest teilweise auch so zu sehen.«
»Ihr Vater?«
»Nein.«
Er sagte das auf eine Weise, die sie davon abhielt weiterzufragen. Stattdessen drückte sie auf das Sieb in der Cafetiere und sah zu, wie es niedersank, den Kaffeesatz auf den Boden presste.
Simon nahm auf dem tiefen Sessel ihr gegenüber Platz, schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück, das Whiskyglas in der Hand. Freya konnte kaum atmen. Es war ihr nicht möglich, ihn anzuschauen.
»Ich habe es nicht zum Hügel geschafft, bevor die Suche abgebrochen wurde, aber ich nehme an, dass nichts gefunden wurde?«
»Überhaupt nichts.« Sie goss sich Kaffee ein, um den Kopf gesenkt halten zu können, mit zitternder Hand.
Sie wollte, dass er weitersprach, wollte den Klang seiner Stimme so gut kennen lernen, dass sie sie, wenn sie von hier wegging, immer noch genau hören, sie mitnehmen konnte.
»Aber wir haben jetzt dienstfrei. Seit wann sind Sie Chorsängerin?«
Anderthalb Stunden später hatte Freya offener über sich und ihr bisheriges Leben gesprochen als je zuvor. Simon war ein guter Zuhörer, warf nur selten ein kurzes Stichwort ein und schaute sie die ganze Zeit an, während sie sprach. Sie erzählte von ihrer Familie, ihrer Ausbildung, der Met, ihrer Ehe und deren Auseinanderbrechen und wollte immer weiterreden, wollte, dass er alles über sie erfuhr. Nach einer Weile konnte sie ihn auch anschauen, sein Gesicht im Licht der Stehlampe hinter seinem Sessel betrachten, im Profil, als er seinen Whisky trank, als er sie wieder ansah.
Sie war total verliebt in ihn, das wusste sie jetzt, aber der heutige Abend hatte alles verändert. Sie wollte sich nicht mehr dagegen wehren, wollte nicht mehr fluchen, kein »verdammt, verdammt, verdammt« mehr bei dem Gedanken an ihn und bei seinem Anblick – im vollen Bewusstsein ihrer Reaktion. Noch nie war sie einem Mann begegnet, der ihr so vollständig und konzentriert seine Aufmerksamkeit geschenkt, ihr zugehört und sie auf diese Weise angeschaut hatte, als sei sie und das, was sie sagte, wichtig und als gäbe es nichts und niemanden sonst auf der Welt, an dem er interessiert war.
Die Uhr der Kathedrale schlug Mitternacht, machte ihr bewusst, wie lange sie geredet, wie viel sie von sich preisgegeben hatte. Sie verstummte. Sein Zimmer, diese Wohnung, in dieser Ecke des stillen Kathedralenhofs war der schönste, friedlichste Ort, an dem sie je gewesen war, und hatte eine einmalige Atmosphäre. Nur hier zu sitzen, schweigend ihm gegenüber, ließ sie zittern.
»Du meine Güte«, sagte sie jetzt.
»Vielen Dank.«
»Wofür?«
Er lächelte. »Dass Sie mir so viel erzählt haben. Die Menschen sind nicht oft so freigiebig mit sich.«
Das so auszudrücken war einzigartig, außergewöhnlich. Aber er ist auch einzigartig, dachte sie, so jemanden wie ihn kann es auf der Welt nicht noch einmal geben.
»Ich muss gehen.«
Er versuchte weder, sie zurückzuhalten, noch sprang er auf, erpicht darauf, sie hinauszuführen. Er blieb einfach sitzen, entspannt und immer noch im Licht der Lampe.
»Ich danke
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