Hill, Susan
aufzustellen und mich an ihn zu halten. Ich lernte sehr viel an diesem Tag, nicht wahr, und das aus einem einzigen Fehler. Statt mit meinen Fingern unter der Nase des Hundes zu wedeln, beugte ich mich vor und machte ein Knurrgeräusch, dachte, damit würde ich ihn verwirren und er würde Angst vor mir bekommen. Ich wollte, dass er Angst vor mir hatte. Stattdessen sprang er hoch und biss mich ins Gesicht, riss mir ein Stück aus der Oberlippe.
Ich war sicher, dass du den Hund einschläfern lassen würdest, weil er mir das angetan hatte, aber du sagtest nur, ich sei selbst schuld.
»Vielleicht wird dich das lehren, ihn nicht zu necken«, hast du gesagt. Kannst du verstehen, wie sehr mich das verletzte? Kannst du das?
Ich war noch nie im Krankenhaus gewesen. Du hast mich mit dem Bus dorthin gebracht, ein sauberes Taschentuch an meine Lippe gedrückt. Ich wusste nicht, wie es in einem Krankenhaus zugehen würde. Ich hatte keine Ahnung, dass es ein so aufregender, schöner und gefährlicher Ort sein würde, aber gleichzeitig ein Ort größter Behaglichkeit und Sicherheit. Ich wollte für immer zwischen den weißen Betten und schimmernden Rolltragen und mächtigen Menschen bleiben.
Was sie mit mir machten, tat weh. Sie betupften meine Lippe mit einem Antiseptikum. Ich mochte den Geruch. Dann nähten sie die Oberlippe. Der Schmerz war unbeschreiblich, doch ich mochte den Arzt, der die Wunde vernähte, und die Schwester mit dem strahlend weißen Häubchen, die meine Hand hielt. Du bist draußen geblieben.
Also, verstehst du, die Tatsache, dass du den Hund mehr geliebt und mich mit ihm betrogen hast, spielte am Ende keine Rolle, denn ich hatte meinen Weg gefunden. Ich kann dir den Betrug sogar verzeihen, weil deiner nicht der schlimmste war. Das kam später. Deinen Betrug habe ich überwunden, aber den anderen nie, weil ich von dem betrogen wurde, was ich lieben musste. Dich habe ich nie geliebt.
Das hab ich dir nie gesagt. Aber jetzt erzähle ich dir alles. Darüber sind wir uns doch einig, nicht wahr?
3
D onnerstagmorgen, und das erste Licht kommt gerade durch den taubengrauen Nebel. Milde Luft.
Auf dem Hügel, einer samtig grünen Insel, die aus einem dunstigen Meer aufsteigt, sind alle Bäume kahl, aber Büsche und Dornenranken, die wie Körperhaare in den Mulden und Senken sprießen, sind voller Beeren und haben die letzten Blätter noch nicht abgeworfen. Auf halber Höhe des Hügels befinden sich die Wernsteine, uralte aufragende Steine, die wie drei Hexen um einen unsichtbaren Kessel hocken. Bei Tageslicht laufen die Kinder dazwischen herum, fordern sich gegenseitig heraus, die pockennarbige Oberfläche zu berühren, und in der Mittsommernacht versammeln sich hier vermummte Gestalten zum Tanzen und Singen. Aber sie werden ausgelacht und gelten als harmlos.
Um diese frühe Stunde rennen ein paar Jogger den Hügel hinauf und um ihn herum, mit wuchtigen Schritten, immer allein, ohne irgendetwas zu bemerken. Heute sind es zwei Männer in ihren federnden Schuhen. Keine Frau. Als das Licht heller wird und sich die Nebeldecke zurückzieht, rasen drei junge Männer auf Mountainbikes den sandigen Pfad zur Kuppe hinauf, strengen sich an, schnaufen und keuchen, steigen aber nicht ab.
Ein alter Mann führt seinen Yorkshireterrier aus und eine Frau ihre beiden Dobermänner, rund um die Wernsteine und in flottem Tempo wieder den Pfad hinab.
Nachts mögen sich Menschen auf dem Hügel aufhalten, aber nicht die Jogger und die Mountainbiker.
Später geht die Sonne auf, blutrot über den verkümmerten Büschen und Ranken und dem moosigen Gras, berührt die Wernsteine, gleitet über Fetzen verwehten Papiers, die weiße Blume eines fliehenden Kaninchens, eine tote Krähe.
Niemand entdeckt etwas Ungewöhnliches auf dem Hügel. Menschen gehen, laufen, fahren dort herum, finden aber nichts, melden nichts Alarmierendes. Es ist wie immer, die stehenden Steine, die Baumkronen, die kein Geheimnis preisgeben. Fahrzeuge bleiben auf den gepflasterten Wegen, und außerdem hat es geregnet; Reifenspuren sind längst verwischt.
4
D ebbie Parker lag im Bett, eng zusammengerollt, die Knie angezogen. Draußen vor ihrem Fenster schien die Sonne, hell für einen Dezembermorgen, aber Debbies Vorhänge waren dunkelblau und fest zugezogen.
Sie hörte Sandys Wecker, Sandys Duschwasser, Sandys Radiosender BEV, nichts davon bedeutete ihr etwas. Wenn Sandy zur Arbeit gegangen war, konnte Debbie weiterschlafen, einen stillen Morgen verschlafen, die Sonne
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