Hill, Susan
Nachrichten im Fernsehen an.
Um halb neun verließ sie das Haus. Sie hatte keinen Plan, fuhr einfach los, parkte auf der Seite der Kathedrale, auf der sie auch am Abend der Chorprobe hätte parken sollen.
Es war dunkel. Auf den Straßen war nichts los. Der Kathedralenhof war leer bis auf eine Frau auf einem Fahrrad und drei Jungen, die auf die Chorschule zugingen. Freya wartete, bis sie weg waren, dann trat sie ein, blieb im Schatten, ging auf die Häuser am Ende des Hofs zu.
Er war vielleicht noch auf dem Revier oder dienstlich unterwegs. Seine Wohnung würde dunkel sein, und sie hätte ihre Zeit verschwendet. Wenn das Licht brannte, was bedeutete, dass er da war, würde sie glücklich sein. Sie würde stehen bleiben und hinaufschauen, ihn sich in dem großen Raum vorstellen, dort bleiben, so lange, wie sie es brauchte. Bei ihm zu klingeln kam nicht in Frage. So dumm war sie nicht.
Als sie auf das Gras an der Seite des Weges trat, hörte sie ein Auto. Simon Serrailler fuhr an ihr vorbei. Freya erstarrte. Wenn er sich umdrehte, würde er sie sehen. Sie huschte zurück in den Schatten.
Einige Autos parkten vor seinem Haus. Simon setzte seines daneben, und die Scheinwerfer wurden ausgeschaltet, aber im Licht der Straßenlaterne sah Freya, wie sich beide Autotüren öffneten. Er stieg zuerst aus, dann eine Frau. Sie war schlank und klein und trug einen hellen Trenchcoat.
Freya war plötzlich entsetzlich übel. Sie wollte weglaufen, sie wollte es nicht sehen, musste es aber sehen, musste stehen bleiben, jede Einzelheit beobachten.
Sie gingen auf das Haus zu, aber statt hineinzugehen, blieben sie bei einem der geparkten Autos stehen. Simon hatte der Frau den Arm um die Schultern gelegt und beugte sich hinunter, um etwas zu sagen. Beim Auto drehte sie sich um, und er breitete seine Arme aus.
Freya wandte sich ab. Sie konnte nicht rennen, sie war wie gelähmt, und wenn sie jetzt erwischt worden wäre, hätte sie erstarrt dagestanden wie ein Wildtier im Scheinwerferlicht. Sie wollte nichts mehr sehen, wollte nicht hier sein, das alles ertragen müssen. Sie war wütend auf sich selbst.
Sie hörte, wie die Autotür zuschlug, der Motor angelassen wurde, sich die Reifen auf dem Kopfsteinpflaster drehten. Rasch schaute sie auf. Simon stand im Eingang seines Hauses, die Hand erhoben. Dann, als das Auto davonfuhr, an Freya vorbei, drehte er sich um, schob die Haustür auf und ging hinein.
Freya wartete. Es hatte zu regnen begonnen. Nach wenigen Minuten ging das Licht im obersten Stock des dunklen Hauses an. Sie stellte sich die Wohnung vor, die Lampen, die Bilder. Simon. Dann ging sie weg.
31
E r dachte, er wisse alles über sich. Er hatte so viel Zeit allein verbracht, seine Seele erforscht, versucht, alles, was er tat und dachte und brauchte, zu den Ursprüngen zurückzuverfolgen, dass er gemeint hatte, durch nichts je wieder überrascht werden zu können.
Er hatte schon so lange gewusst, was er tun musste und warum. Er hatte gewusst, dass es ihm eine nur kurzfristige Befriedigung verschaffte, ein Stück Wissen, das allmählich zu einem Ganzen werden würde. An der Verfolgung und dem Überwältigen der Beute hatte er nie ein wirkliches Interesse gehabt. Es war Mittel zum Zweck. Er musste die Menschen finden, sie sorgfältig auswählen, beobachten, aufspüren, sie ein letztes Mal verfolgen und dann, aus Notwendigkeit, zum Schweigen bringen. Er vermied Wörter wie »Mord« und »umbringen« und »Tod«. Nichts davon machte ihm Vergnügen. Sadisten und Psychopathen, böse Menschen, fanden Befriedigung im Akt des Tötens und wahrscheinlich in allem, was dazu führte. So war er nicht. Die Vorstellung entsetzte ihn.
Was er tat, war etwas völlig anderes.
Daher traf es ihn wie ein Schock, dass er sich danach sehnte, zum Hügel zurückzukehren, zu dem ihm momentan der Zugang verwehrt war. Er wollte seine Schritte nachvollziehen, dort stehen, wo er mit jedem von ihnen gestanden hatte, sich an alles erinnern. Wenn die Polizei das Gelände nicht abgesperrt hätte, wäre er vielleicht nie darauf gekommen. Am Abend zuvor hatte er auf seine Liste geschaut, und noch etwas hatte ihm Sorgen gemacht. Drei Exemplare fehlten noch. Mann mittleren Alters. Ältere Frau. Älterer Mann.
Die anderen waren vollständig, waren untersucht, obduziert, aufgezeichnet und abgelegt worden. Seine Forschung war einmalig. Niemand sonst hatte auf die gleiche Weise wie er experimentiert, die Art verglichen, in der jeder von ihnen getötet worden war,
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