Hill, Susan
der Suche nach der richtigen Nummer langsam an den Häusern entlangfuhren. »Die können sich kaum verändert haben, seit sie von den Viktorianern als Arbeiterhäuser gebaut wurden. In London gibt es noch viele davon, allerdings größtenteils von Yuppies bewohnt, nachdem die kleinen alten Damen, die jeden Morgen die Stufen geweißelt haben, weggestorben sind. Die Häuser passen zu den Menschen und haben es immer getan – bescheiden, hübsche Gärten nach hinten raus, nachbarschaftlich. Genau richtig.«
»Sie haben den Beruf verfehlt, Sarge … da ist die 39. Hätten Immobilienmaklerin werden sollen.«
Pauline Moss hielt bereits am Fenster nebenan nach ihnen Ausschau und kam zur Tür, als das Auto anhielt. Sie trug eine Kittelschürze und sah verstört aus.
»Sie ist nicht zurückgekommen, hat nicht angerufen, nichts …«, sagte sie, während sie die beiden Polizeibeamten in ihr voll gestopftes Wohnzimmer führte und eine Tigerkatze vom Sessel hob. »Warten Sie, lassen Sie mich das erst abwischen, bevor Sie sich setzen, sonst haben Sie überall Katzenhaare.« Energisch wischte sie mit einem Tuch und der Hand über die Polster und betrachtete das Ergebnis sorgfältig. »Ich habe bis halb neun gewartet, dann musste ich Sie einfach anrufen, das ist nicht normal. Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ich mir Sorgen um sie gemacht habe. Wo ist sie bloß hingegangen, das macht sie sonst nie, sie war nie über Nacht von zu Hause fort – schon lange bevor Harry krank wurde, und das ist mindestens drei Jahre her.«
»Daraus schließe ich, dass Sie Mrs Chater gut kennen?«
»Sehr gut, wir sind seit dreißig Jahren Nachbarn. Als ihr Harry und mein Clive noch lebten, waren wir alle befreundet. Dann war Harry so lange krank, und nachdem er starb, hab ich mich um sie gekümmert. Sie war sehr tapfer, wirklich tapfer, und hat sich so bemüht, ihr Leben wieder aufzunehmen, aber es fiel ihr schwer. Wir hocken nicht dauernd aufeinander, wissen Sie, wir lassen uns – wie sagt man heute – gegenseitig Raum, haben das immer respektiert. Aber wir sehen uns fast täglich, trinken Kaffee oder Tee zusammen, gehen mal zusammen einkaufen, oder sie kommt zum Fernsehen zu mir oder ich zu ihr, und manchmal spielen wir Karten.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen, Mrs Moss?«
»Gestern Morgen. Sie hängte Wäsche auf, und ich rief sie auf eine Tasse Kaffee rein. Ich hatte auch gerade gebacken. Ich hatte einen Brief vom Gemeinderat bekommen und wollte, dass sie ihn sich anschaute. Dann haben wir darüber gesprochen, nächsten Monat einen Ausflug zu machen. Einen Busausflug, wissen Sie? Das haben wir früher manchmal gemacht, zu viert, aber nachdem Harry krank wurde, ging das natürlich nicht mehr, doch ich habe versucht, sie zu bewegen, wieder das eine oder andere zu unternehmen, die Zügel in die Hand zu nehmen – das muss man doch, nicht wahr? Als Clive starb, hat sie dasselbe für mich getan.«
»Hatte sie Lust, einen Ausflug zu machen?«
»Ja, sie meinte, es sei Zeit, wieder nach vorne zu schauen. Wir haben lange darüber geredet, ich hatte einen Prospekt. Wir haben an Chatsworth gedacht. Man kann dort einen herrlichen Tag verbringen, das Gelände ist wunderschön, und man kann da auch essen. Es ist nicht zu weit. Ich wollte die Fahrkarten besorgen, wir mussten uns nur noch auf einen Tag einigen.«
»Es gab also keinen Hinweis darauf, dass sie irgendwo allein hinfahren wollte?«
»Das würde sie nie tun, nicht in einer Million Jahre. Außerdem fährt man nicht weg, ohne jemandem Bescheid zu sagen, und schon gar nicht am Abend, oder? Natürlich tut man das nicht, wer immer man ist. Und sie hat nur ihre Handtasche mitgenommen.«
»Ich nehme an, Mrs Chater hat keine Verwandten?«
»Nein. Sie hatten keine Kinder. Das war immer sehr traurig. Harry hatte eine Schwester, aber die ist gestorben, vor fünf Jahren oder so, und ich glaube nicht, dass Iris mit der Familie Kontakt gehalten hat, die leben irgendwo in Schottland, Aberdeen, das war es. Nein, sie war allein, nachdem Harry gestorben ist. Bei mir ist es anders, ich habe zwei Söhne, die in der Nähe wohnen.«
»Hat sie andere Freunde?«
»Ja, schon, aber keine engen, wir kennen beide viele Leute hier aus der Nachbarschaft, wenn auch nicht mehr so viele wie früher, das ändert sich alles, nicht wahr? Früher ging sie auch in die Kathedrale, aber damit hat sie aufgehört, als sie nicht mehr so leicht aus dem Haus kam. Harry brauchte rund um die Uhr
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