Hill, Susan
zurückkamen, brachte Mrs Cox uns Tee. Ich wollte das Gespräch wieder übernehmen.
»Dr. Groatman …«
»Ein bemerkenswerter Mann, sehr bemerkenswert, ein Diagnostiker, Kliniker, Chirurg …«
»Aber tot«, sagte ich.
Zum ersten Mal wurde das warme Lächeln etwas frostiger.
»So etwas wie den Tod gibt es nicht, Miss Carr … nicht in dem Sinne, den Sie meinen.«
Ich fragte mich, welchen Sinn er wohl meinte.
»Dr. Groatman wohnte und praktizierte zu seinen Lebzeiten während des neunzehnten Jahrhunderts in Limehouse. Jetzt praktiziert er durch mich, von der anderen Seite. Er leitet mich, lehrt mich, operiert durch mich.«
»Wenn Sie sagen, ›operiert‹ …«
»In der Tat. Psychisch.«
Ich fragte ihn, was genau das bedeute, aber seine Antwort wirkte ein wenig ausweichend. Als ich nachhakte, verschwand das kühle Lächeln vollkommen im Tiefkühlfach.
Von dem Moment an bekam ich ein unangenehmes Gefühl. Nichts war mit mir geschehen, nichts war gesagt worden, das mich zum Schaudern brachte, doch während ich hier mit diesem korrekt wirkenden Mann saß, passierte mir genau das.
»Die Menschen kommen zu mir voller Schmerzen und Qualen. Sie waren vielleicht schon bei vielen Ärzten, mussten sich anhören, dass ihnen nichts fehlt oder dass ihre Krankheit unheilbar ist. Sogar tödlich. Dr. Groatman findet durch mich heraus, welche Krankheit es ist, und behandelt sie – für gewöhnlich operativ, manchmal auch nicht. Er behandelt sie psychisch, entfernt vielleicht einen Tumor oder einen Polypen, löst einen Gallenstein auf, schneidet eine Entzündung heraus oder sterilisiert eine tief sitzende Infektion. Die Ergebnisse sind bemerkenswert.«
»Und Sie haben das Gefühl, nichts damit zu tun zu haben?«
»Ich habe nichts damit zu tun. Wie gesagt, ich bin nur eine Art Kanal.«
»Ein gut bezahlter.«
Jetzt wurde auch die Stille im Raum frostig. Seltsam. Aber ich wusste, dass der Psychochirurg hohe Honorare nahm. Mrs Waller hatte mir erzählt, dass sie 150 Pfund bezahlen musste. Gut angelegtes Geld, versicherte sie mir. Für die Erlösung von monatelangen Schmerzen mag das wohl zutreffen.
»Wenn Sie kein Arzt sind …«
»Das bin ich absolut nicht.« Mr Orford achtete darauf, dass ich das auch bestimmt notierte.
»Wie können Sie dann Operationen durchführen?«
»Das tue ich nicht.«
»Aber …«
Er seufzte, und ich kam mir allmählich vor wie ein sehr dummes Kind.
»Dr. Groatman operiert. Psychisch.«
»Sie meinen, er schneidet Menschen auf?«
»Sozusagen.«
»Psychisch?«
»Ja.«
Wir drehten uns im Kreis.
»Wo haben Sie praktiziert, bevor Sie nach Lafferton kamen, Mr Orford?«
»In Brighton.«
»Es wundert mich, dass jemand aus Brighton fortzieht. Ich würde das sicher nicht tun.« Ich hoffte, noch viel mehr über Brighton zu hören. Ich wollte, dass Mr Orford mir von den Heilungen erzählte, die er – oder vielmehr Dr. Groatman – dort durchgeführt hatte. Würde es denn nicht all seine neuen Patienten beeindrucken – um nicht zu sagen, beruhigen –, wenn sie von früheren Erfolgsgeschichten erfuhren? Aber er schien abgeneigt, mir weitere Einzelheiten zu berichten.
Wir plauderten noch ein paar Minuten länger, doch mit Anthony Orford zu reden ist, als würde man durch einen Rauchschleier sprechen. Je direkter meine Fragen waren, desto verschwommener wurden seine Antworten, obwohl er immer höflich blieb.
Er stand auf und streckte die Hand aus. Offensichtlich hatte ich meine Zeit überschritten. An der Tür bat ich ihn jedoch noch einmal, mir ein bisschen näher zu erklären, wie Dr. Groatman arbeitet.
»Sollten Sie je krank werden – und natürlich hoffe ich sehr, dass das nicht eintritt – und Ihr Hausarzt nicht in der Lage zu sein scheinen, Ihnen helfen zu können, machen Sie einen Termin bei mir aus. Dann werden Sie alles selbst erfahren.«
Das Lächeln tauchte wieder auf, als ich mich verabschiedete. Aber der Thermostat stand immer noch auf unter null.
Verwirrt verließ ich Starly.
Wer also ist Anthony Orford? Wer war Dr. Groatman? Und hat einer von »ihnen« eine Lizenz, auf die Art zu praktizieren, wie »sie« es tun? Offenbar ja. Es gibt überhaupt keine Vorschriften, an die sich alternative Heilkundler halten müssen. Nur die voll ausgebildeten dürfen als Ärzte praktizieren. Und Mr Orford hat mir gegenüber immer wieder betont, dass er nicht behauptet, einer zu sein.
Ich fand das alles sehr alarmierend.
Daher ging ich noch einmal zu Glenda Waller und bat sie, mir genau zu erklären, was
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