Hill, Susan
Hand der Frau.
Die Frau lachte. »Oh, keine Bange … nichts Schlechtes, nur Gutes.«
»Wie bitte?« Es gelang ihr, die Worte herauszubringen, aber sie klangen seltsam. Wie eine fremde Sprache.
»Simon hat mir von Ihnen erzählt.«
Freya hatte das Gefühl, so glotzäugig zu schauen wie ein Fisch im Aquarium.
Jetzt berührte die Frau ihre Schulter. »Sie arbeiten mit ihm zusammen, stimmt’s?«
Sie hatte vergessen, wie man nickt, und dann kamen wundersamerweise Worte aus ihrem Mund. Bläschen von dem Fisch, dachte sie. »Woher wissen Sie das?«
»Gott, diese Familie ist hoffnungslos … Mutter hat mich nicht richtig vorgestellt. Ich bin Cat Deerborn. Geborene Serrailler. Simon ist mein Bruder.«
Das Zimmer nahm wieder Gestalt an.
Freya wurde Cats Mann vorgestellt, dann einem kräftig gebauten Osteopathen mit dickem Hals und einer großen und sehr schönen Frau in einem langen Mantel aus bedrucktem Samt, um den man sie beneiden konnte. Die Gruppe, sagte Cat Deerborn, hätte gerade über einen Artikel in der heutigen Abendzeitung diskutiert.
»Doch nicht etwa der über den Psychochirurgen?«
»Ja. Heißt das, die Polizei ist an ihm interessiert?«
»Nein, nein … oder zumindest nicht offiziell. Ich hab es trotzdem registriert.«
Als sie zum Essen hineingingen, war klar, dass die Gästeliste komplett war. Simon war nicht dabei. Freya kam sich vor wie ein Kind, bitter enttäuscht, weil ein versprochenes Vergnügen abgesagt worden war, ein Teenager, augenblicklich niedergedrückt durch das strenge Wort eines bewunderten Lehrers … und genauso schnell wieder aufgemuntert. Heute Abend nicht, dachte sie, nahm eine Gabel voll von der köstlichen Fischterrine, wunderschön verziert mit dem Korallenrot der Kamm-Muscheln. Heute freust du dich über die Anwesenden und sehnst dich nicht nach dem, der nicht da ist. Der heutige Abend ist dazu gedacht, noch mehr neue Freunde zu gewinnen. Cat, dachte sie, blickte über den Tisch zu ihr. Ja, Cat auf jeden Fall, und nicht nur, weil sie Simons Schwester ist, die ihm so gar nicht ähnelt. Cat, weil sie warmherzig und einnehmend war, intelligent und wach, die Art Mensch, auf den Freya sofort reagierte. Momentan musste sie sich jedoch denjenigen zuwenden, die rechts und links von ihr saßen. Sie war rechts neben ihren Gastgeber Richard Serrailler platziert worden, der allerdings gerade die Runde machte und Wein einschenkte. Freya wandte sich an ihren anderen Tischnachbarn.
»Wir sind uns noch nicht richtig vorgestellt worden«, sagte sie.
Er war vermutlich in den Fünfzigern, trug einen gut geschnittenen, dunkelgrauen Anzug und hatte, wie sie bemerkte, erstaunlich schlanke, sauber manikürte Hände. Chirurg, entschied sie, und ein richtiger, kein psychischer.
»Aidan Sharpe. Sehr erfreut. Ich hörte, Sie singen mit Meriel im Chor?«
»Ja. Sie hat mich unter ihre Fittiche genommen …«
»Meriel hat so eine Art, Menschen um sich zu scharen und in ihre Projekte einzubeziehen. Sie umhüllt sie mit dem prächtigen Gespinst ihrer eigenen Welt, und ehe sie es sich versehen, übernehmen sie einen Stand auf dem Hospizbasar.«
»Komisch, dass Sie gerade das erwähnen.«
Freya aß die letzten Bissen ihrer Terrine. Ihr Tischnachbar hatte seine Portion in feinste Scheiben geschnitten, bevor er jede vorsichtig auf die Gabel nahm. Chirurg, ganz eindeutig.
»Sind Sie Ärztin?«, fragte er.
Das war der Moment. Freya sammelte Reaktionen von Leuten, wenn sie ihnen sagte, was sie beruflich machte. Ob Simon das wohl auch tat? Manche waren schockiert, manche alarmiert, manche beschwerten sich sofort aggressiv über die zunehmende Kriminalität/zu wenige Streifenpolizisten in ihrem Wohngebiet/Ungerechtigkeiten der Verkehrspolizei …, andere waren begierig auf Insiderinformationen über fast alles, was mit der Polizei im Allgemeinen und der Kriminalpolizei im Besonderen zu tun hatte.
Jetzt sah sie Aidan Sharpe direkt in die Augen und sagte: »Nein. Ich bin ein Detective Sergeant.«
Seine Augen weiteten sich ganz leicht, doch sonst veränderte sich sein Gesichtsausdruck nicht im Geringsten. Er war ein gut aussehender Mann – hätte ohne den Spitzbart noch besser ausgesehen, dachte Freya.
»Darf ich raten, welchen Beruf Sie haben?«
Er lächelte. »Das genieße ich immer.«
»Ach ja?«
»Erinnern Sie sich – nein, natürlich nicht, dazu sind Sie viel zu jung … es gab eine Fernsehsendung mit dem Titel Heiteres Beruferaten. Menschen mit ungewöhnlichen Berufen wurden von
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